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meist von „Dameu" geschriebnen modernen Kuustmärche» lebendig zn erhalten! Seit der Freigebung der Grinimscheii Märchen ist jn die Möglichkeit vorhanden^ die beste Sammlung in jedes Haus zu bringe», uud wenn auch der mythologische Hintergrund der Märchen im Volke längst nicht mehr empfunden wird, ihr poetischer Gehalt sollte doch, meine ich, dem Ansturm der Gegenwart noch auf lauge Zeit gewachsen sein. Was aber die Lokalsagen betrifft, so sollte man sie, ähnlich wie die geschichtlichen Erinnerungeu, immer wieder auffrischen; ihre Bedeutung ist annähernd dieselbe, und die Stärkung des Heimatgefühls durch sie unzweifelhaft. Die meisten sind durch mehr oder minder gute Dichter in Verse gebracht, und wenn ich auch die poetische Form für weniger zweckentsprechend halte als die alte, schlichte prosaische aus dem Nolksmuude, so kann sie doch auch ihren Dienst thun, und Sammlungen solcher Bearbeitungen, nach Länder» geordnet, wie sie wohl hin und wieder vorhanden sind, können einen guten Einfluß üben.
Hier will ich auch gleich die Bedeutung der Poesie überhaupt im moderne» Volksleben mit ein paar Worten beleuchten. Wie das Volksmärchen, so ist auch das Volkslied heute im ganzen tot; wo noch Volkslieder gesungen werden, da sind sie meist durch die Schule uud deu Gesangverein, durch Vermittlung also von Litteratur »nd Musik, zum Volke zurückgelangt. Doch machen einige Gegenden Deutschlands eine Ausnahme, ja es entstehen wohl noch Volkslieder, namentlich Soldatenlieder, aber diese sind meist von geringem Wert, ja geradezu roh. Leider ist auch der Versuch, die Volkslieder ius Volk zurückzubringen, nicht recht gelungen; was am meisten gesungen wird, sind von großstädtischen Winkelpoeten, Tingeltangelkomikern gedichtete und durch Drehorgeln überallhin verbreitete Gassenhauer, Kouplets auf Operettenmelodien, oft auch die ursprünglichen oder verdvrbnen Texte dazu. Daneben erhält sich freilich eine beschränkte Anzahl „anständiger" Lieder, meist nicht echte Volkslieder, sondern Lieder von Knnstpoeten, wie Heines „Loreley." Als Kind hörte ich »och sehr viele der Lieder, die in Wustmcmus Sammlung „Als der Großvater die Großmutter nahm" Aufnahme gefunden haben, aber jetzt sind sie wohl auch verstummt. Die weitern poetischen Bedürfnisse des Volks befriedigen der Zeituugs- und der Kolportageroman. Den Kolpvrtageroman haben die Zeitungen stets in hellster Entrüstung verdammt, aber was sie unterm Strich bringen, ist auch nicht viel besser, mögen es nun, wie bei allen Generalanzeigern, Sensations- oder fade Liebesromane sein. Mit welcher Wut sich das Volk auf die Sensationsromane stürzt, beweist z. B. der Erfolg eines neugegründeten Blattes, natürlich eines Generalanzeigers, mit einem Pariser Schauerroman „Die Krallenhand," der ihm nicht weniger als füufzehntauseud Abonnenten einbrachte. Die Leute waren, wie ich mehrfach habe beobachten können, wie verrückt auf die „Krallenhand." Ähnliche Wirkungen erreichen die Hintertreppenromane, vvn denen ich aus Erfahrung sprechen kann, da ich in