210 Line englische Bürgerkunde
oder weniger als bekannt vorauszusetzen und, je nachdem, geist- und humorvoll darüber zu plaudern, oder durch eindringlichen Ernst auf seine Leser zu wirken. Wir Deutschen Pflegen umgekehrt auch bei populären Darstellungen das Hauptaugenmerk auf den Stoff selbst zu richten. Unser Humor in politischen Dingen klingt leicht bösartig, uuser Pathos gesucht. Zudem ist fast jede einzelne politische Frage von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, und gerade das englische Buch läßt uns wieder schmerzlich erkennen, wie sehr es den Deutschen noch an einem Grundstock gemeinsamer politischer Überzeugungen fehlt. Wir haben uns deshalb in unsrer Deutschen Bürgerkunde (Hoffmann und Groth, Leipzig, Fr. Will). Grunow, 1894) darauf beschränkt, eine so genane Darstellung aller Zweige des staatlichen Lebens zn geben, als im kleinen Rahmen möglich war. Wir haben uns bemüht, möglichst anschaulich zu werden, aber politische Räsvnnements grundsätzlich unterlassen. In der That, ehe für eine mehr philosvphireude Behandlung der Gruudzüge unsers Staatslebcns die Zeit gekommen ist, mnß die Kenntnis dieser Grnndzüge selbst noch weit mehr verallgemeinert sein.
Der englische Verfasser ist in der angenehmen Lage, seinen Landslente» die Einzelheiten des Verfassungsrechts, der Verwnltungsorgauisation, des Gerichtsverfahrens, der Finanzpolitik nsw. nicht erst weitläufig auseinandersetzen zu müssen, wenn er auch genug davon mitteilt, um dem Auslander einen gnten Überblick zu geben. Eine tiefer eindringende wissenschaftliche Behandlung ihres Staatsrechts haben übrigens die Engländer, gerade wie es ihnen mit ihrem größten nationalen Dichter gegangen ist, einem Deutscheu, den epochemachenden Untersuchungen Gneists zu verdanken. Maldens Lesepublikum steht, die englischen Frauen nicht ausgeschlossen, als Glied irgend eines Selbstverwaltungskörpers oder einer gemeinnützigen Gesellschaft, als Geschworner, als Tradesunionist, jedenfalls als Wähler und aufmerksamer Leser der Parlamentsberichte täglich im praktischen Staatsleben mitten darin. Das Buch ist nnr dort ausführlicher, wo es sich darum handelt, gewisse von der praktischen Arbeit bisher ferngehaltue Kreise mit den dnrch die neuere Gesetzgebung ihnen übertragnen Aufgaben bekannt zn machen. So sind z. V. die erst 1894 neu geschaffnen untersten Organe der örtlichen Selbstverwaltung, die ländliche» Kirchspielräte (Distrikt- nnd Parish-Couneils) ziemlich eingehend behandelt. Beiläufig: es ist bei uns noch wenig bekannt, daß mit alleiniger Ausnahme der Ehefrauen auch den Frauen für die Kirchspielräte das volle aktive und passive Wahlrecht eingeräumt ist. Mulden ist anch darin beneidenswert, daß er bei seiner Darstellung auf partikulare Besouderheiteu keiue Rücksicht zu nehmen braucht (aus die irischen Verhältnisse läßt er sich allerdings nicht ein), und daß er überall an das geschichtlich Gewordne anknüpfen kann. Wen» man bedenkt, daß England zn der Entwicklung von der absoluten Monarchie bis zum konstitutionellen System viele Jahrhundertc, Deutschland zu