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Was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? : ein Wort an den Reichstag
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Was verlangeil wir von einein bürgerlichen Gesetzbuch?

die anderweiter Regelung vorbehalten werden sollen, genau bezeichnet worden sind, sodaß darüber, ob ein Nechtsverhältnis von den Bestimmungen des neuen Gesetzbuchs ergriffen werden soll oder nicht, kein Zweifel entstehen kann. Diese Bestimmtheit läßt z. V. das sächsische bürgerliche Gesetzbuch wie schon Wächter gerügt hat vermissen, wenn es in § 3 nnter Nr. 1 seiner Publi- kationsverordnung vom 2. Januar 1863alle in Verwaltuugsgesetzeu zugleich über Gegenstände des bürgerlichen Rechts mitenthaltnen Bestimmungen" neben dem bürgerlichen Gesetzbuch bestehen läßt, ohne diese irgendwie näher zu be­zeichnen.

Soweit nun das Gesetzbuch die Regelung der bürgerlichen Rechtsverhält­nisse nicht ausdrücklich besondern Reichs- oder Landesgcsctzen überweist, hat es die Pflicht, sie selbst vollständig und erschöpfend zu regeln. Es will ja in Znkuuft die einzige Rechtsquelle sein, insbesondre schließt es die Bildung von Gewohnheitsrecht ausdrücklich aus. Man muß daher in ihm die Ent­scheidung für jeden einzelnen Fall eines künftigen Rechts- und Streitverhült- nisses finden können. Dieses verfolgte z. B. nicht der bairische Zivilkodex des Kurfürsten Maximilian III. vom Jahre 1756, der die subsidiäre Geltung des gemeinen Rechts beibehielt. Daß eine solche Vollständigkeit freilich nicht dadurch erreicht wird, daß man, wie es das österreichische Gesetzbuch thut, zur Ausfüllung der Lücken aufdie natürlichen Rechtsgruudsätze" verweist, liegt auf der Hcmd. Das ist die Unterlassung einer Regelung, keine Gesetz­gebung. Im österreichischen Gesetzbuch erklärt sie sich aus der Auffassung der Zeit über das Bestehen eines sogenannten Natnrrechts, das gleichsam allen Gesetzbüchern zu Grunde liegen solle. Zu der erforderlichen Vollständigkeit gehört aber vor allen Dingen, daß in dem Gesetzbuch alle Stoffe, alle Lebens- uud Gesellschaftsverhältnisse, die eine besondre Betrachtung und Regelung er­fordern, als besondre Rechtsinstitute erkannt und behandelt werden. Hier hat der Gesetzgeber seine Kunst zu beweisen, und hier besonders muß er sich frei »mchen von althergebrachten Einrichtungen. Portalis sagt hierüber in seiner bedeutenden Einleitungsrede zum Entwurf des französischen Zivilgesetzbuchs sehr schön:Die verschiednen Gattungen von Gütern, die verschiednen Rich­tungen der Industrie, die mannichfaltigen Verhältnisse des Lebens verlangen anch dieselbe Mannichfaltigkeit der Bestimmungen. Der Sorgfältigkeit des Gesetzgebers liegt es ob, sich nach der Mannichfaltigkeit und Wichtigkeit der Gegenstände zu richten, über die er Vestimmnngen treffen muß." Gleich­wohl ist freilich gerade der Locls oivil in dieser Beziehung äußerst maugelhaft. Regelt er doch nicht einmal den Schntz des Besitzes, er kennt nicht den Unter­schied zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, er schreibt viele Förmlichkeiten vor, ohne zu sagen, welche Folgen es habe, wenn sie nicht gewahrt werden.

Es ist also sorgfältig zu prüfen, ob nicht der Entwurf derartige Lücken aufweist, und ob man dem Bedürfnis des heutigen Wirtschaftslebens nach be-