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Das Alte Testament und der Dichter des Heliand
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Das Alte Testament und der Dichter des Heliand

wird der Dichter, vorausgesetzt, daß er eine fortlaufende Genesisdichtung hat schaffen wollen, aus dem Inhalt der folgenden Genesiskapitel manches weg­gelassen haben, zum Teil weil es Anstößiges enthält (Abraham giebt dem Abimelech sein Weib Sarah hin, als wäre es seine Schwester, Kapitel 20), hauptsächlich aber wohl, weil es nichts Einheitliches darbot. Möglich, daß ihn zunächst Hagar und Jsmciel in der Wüste nnd ihre Errettung durch Gottes Stimme angezogen hat; wahrscheinlich, daß der Prediger christlicher Demut und christlichen Gehorsams die Prüfung Abrahams durch die ihm von Gott auf­erlegte Opferung Jsaaks mit ihrer dramatisch bewegten und spannenden Hand­lang begierig ergriff und in seinem nächsten Gesänge den segnenden Engel Gottes (Kapitel 22,15 sf.) ein feierliches, wirkungsvolles Amen sprechen ließ.

Anßer diesen zunächst hervortretenden Zügen weist die altsüchsische Bibel- dichtnng anch in manchen Einzelwendnngen selbständige Eigentümlichkeiten ans, die mit der germanischen Stammesart, Sitte, Mythe und Lebensanschauung zusaunuenhängen. So leistet Abraham, ohne daß die biblische Vorlage etwas Entsprechendes dafür böte, seinen: himmlischen Herrn mit seiner frommen Ge­horsamserklärung geradezu den Treuschwur des deutschen Gefolgsmannes: II< inun Uiw LMii öviüv, ltvlcl «zn<>i Ailiorig', ttui dist rni liorrc» so g'uoci, invämo Lv inilcli. . . Ilc lidoio bi tliinum, Isliöns . . . muot ik Un ÜAg'on uu, >vg,rm> Urv. sigidrolitin Äclon villog.8? (Ich bin dein Eigenknecht, hold und hörig; du bist mein guter Herr, an Gaben so mild; mein Leben ist dein Lehngut: darf ich dich mm fragen, wohin du, Siegesherr, ziehen willst?) Die Wohnstätte des Helden heißt mit Vezng auf eine der schönsten und hervorstechendsten, schon von Taeitus gerühmten Tugenden des deutschen Hauses der AöslMi (Gastsaal), und wenn vom Freien die Rede ist, klingt in dem Ausdruck uvch ein deutlicher Nachklang der altgermanischen Sitte des Brautkaufs: Lig'mumn im eoxrm wo veros vit, unclor tuislc (Es begannen da die Männer unter sich Weiber zu taufen). In der Wendung Kuiril>il> luiu 8<zol!i, Uns gsst lm guoclg-n vvss schimmert vielleicht noch die germanische Vorstellung von dem Tode als einer Kriegsfahrt durch, wie auch das kriegerische M im Heliand öfter für Tvdesfahrt gebraucht wird. Fährt aber die Seele anstatt des guten Weges den bösen, so findet sie die Hölle, tlim suartou deU ginon ZraäaKU,, die gierig gähnende. Der Dichter stellt sich den Ort der Verdammnis, wie ans einer andern Stelle hervorgeht, wie eine Polargegend znr Zeit der langen Nacht vor, nur mit Hinznfügung großer Feuer, in die die Bewohner von Zeit zu Zeit hineingeworfen werden. Diese Feuer aber erscheinen ihm wie lebendige Ungeheuer, die in hungriger, unersättlicher Gier den Nachen auf­sperren, ihre Opfer zu empfangen; eine mythische Erinnerung an das Unheim­liche und Ungeheure und an die Untiere der Tiefe aus der alten germanischen Nvlkssage klingt nach. Wie unsere Dichtnng bei jeder Gelegenheit nachdrücklich allen Zweifel au der guteu Vorsehung Gottes abwehrt, ist schon hervor-