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Friedrich Hebbel und Btto Ludwig
man das Werk nennen könnte. Trotz allem, was die Bewunderer Ludwigs sagen, ist es eine Schicksnlstragödie, wenn dies Wort ein Werk bezeichnet, in dem Ursachen und Wirkungen nicht in dein richtigen Verhältnis zu einander stehen und den Charakteren alles mögliche in den Weg geworfen wird, damit sie darüber stolpern. Hebbels „Maria Magdalene" giebt ein bestimmtes Grundverhältnis, das keine Macht der Erde zu verrücken vermag, Ludwigs Werk erwächst durchaus nicht ans den Verhältnissen, weder aus den allgemeinen, noch aus den besondern, obwohl der Dichter durch die Audeutuug der auflösenden Tendenzen der Zeit, iu der sein Werk spielt, das erstere glauben machen will, sondern allein aus dem Charakter des Erbförsters, es erwächst ferner aus diesem nicht mit voller innerer Notwendigkeit, sondern nur durch eine künstliche Herbeiführung von Situationen, die oft ein einziges anders gesprochnes Wort völlig uinwerfeu könnte, wenn nur ein einziger Mensch in dem Werke wäre, der, wie es doch im Leben stets der Fall zu sein pflegt, ein einzigesmal vernünftig handelte. Die Undentlichkeit des Opfcrtodes der Förstertochter, gegen die sich Ludwig selbst verteidigte, spielt dem ganzen Gewebe der Mißverständnisse gegenüber gar keine Rolle, nnd die realistischen Motive, auf die sich der Dichter etwas zu gute thut, sind eigentlich keine Motive, da ihnen nicht das Gesetz der Kausalität, sondern nur eine Art Wahrscheinlichkeitsrechnung zu Gruude liegt. Und es ist eine verwünschte Wahrscheinlichkeit, die annimmt, daß ein gelber Gewehrriemen in der Dämmerung erkannt wird, der Mensch, der das Gewehr trügt, aber nicht. Nach dieser Richtung hin ist Ludwig Vorläufer eines Gerhart Hauptmnnn, dessen Motiviruug auch überall schwach erscheint und schwach sein muß, weil sie deu unzweifelhaft vorhcindnen Zusammenhang zwischen Menschen und Dingen mißachtet und kein natürliches Wechselspiel der Kräfte herzustellen vermag. An seine Stelle tritt der Zufall, der auch im Drama vielleicht nicht ganz auszuschließen ist, da der Schein wirklichen Lebens zu wahren ist, aber der in ihm nie als äsu8 ex nmouing. erscheinen darf. Im „Erbförster" spielt ein Bibelspruch eine große Rolle, er bestimmt den Erbförster zum Mord. Ludwig sagt, es sei das im Wesen des Jnstinkt- menschen begründet, da der Spruch seiner Nachsucht entgegenkomme. Sehr richtig. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß des Försters Tochter, die durch Bibellesen die Lektüre eines Briefs zu verbergen strebt, gerade den Spruch treffe, dessen der Dichter bedarf, ist allzu gering, man merkt die Absicht und wird verstimmt, nicht bloß nnser Verstand, auch unser Gemüt empört sich gegen diesen Realismus. Der Verstand wird etwa sagen: Da in einem christlichen Hause nicht das Alte, sondern hauptsächlich das Neue Testament gelesen wird, ein Buch aber da aufgeht, wo man es stark benutzt, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß etwas aus dem Neuen Testament getroffen wird, größer; ja er geht noch weiter und sagt: Der Förster hat einmal die Christenlehre besucht, uud er müßte einen sehr schlechten Schulmeister gehabt haben, wenn ihm nicht