Der ewige Jude und der Teufel
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Nur einer bleibt von allen Im Staube regungslos, das Haupt gesenkt Zum Fuß des Kreuzes: Ahasver, der Alte; Sein Herz ist still, der müde Pilger schläst, Und selgcr Friede ruht auf seinem Antlitz.
Eine wunderliche Vision, deren poetischer Gehalt in lauter biblischen und legendarischen Reminiscenzen besteht, und deren innersten Kern zu ergründen seine Schwierigkeiten hat. Wenn der Dichter überzeugt ist, daß der christlichen Kirche vor den letzten Tagen noch ein Martyrium bevorstehe, dem gegenüber alle frühern Leiden und Verfolgungen zum Kinderspott werden müßten, uud wenn er dieses letzte Martyrium und den letzten gewaltigsten Sieg schildern wollte, so ist kaum zu verstehen, daß gerade die Überwindung des Judentums und die endliche Bekehrung des jahrtausendealten Ahasver das höchste Symbol dieses Triumphs sein soll. Die Anschauung, die der Dichter von den fernen Znkunftstagen giebt, ist natürlich eine höchst unbestimmte und nebelhafte: Bilder des Orients und des Occidents in bunter und greller Mischung. Der Messiaskönig Sotsr hat einen Vezier, aber in dem Häusermeer von Jerusalem liegt „die große Dampferflotte der Fabriken" vor Anker, die Qualen, die man den christlichen Märtyrern anthut, stammen aus den alten Legenden und den Henkerbildern der bolognesischen Malerschule, die Reden, die Sotör und andre halten, scheinen den Redekanzeln des gestrigen und heutigen Tages entsprungen. Nichts ist fest gesehen uud gezeichnet, alles wogt bunt in und dnrch einander, und doch giebt sich der Dichter die erdenklichste Mühe, uns die phantastisch nebelhaften Szenen näher zu bringen und sie wirksam zu machen. Eine voreingenommne, von den Bildern und Weissagungen der Apokalypse schon erfüllte Phantasie vermag sich auch aus solcher Dichtung zu nähren, jede andre wird die Gestaltlosigkeit dieses epischen Gedichts schmerzlich empfinden.
In vollem Gegensatz zu Seebers epischem steht Max Haushofers dramatisches Gedicht Der ewige Jude, das etwa in dem Sinne ein Drama ist wie Goethes „Faust" und wie die großen halb realistischen Mysterienstücke. Wie dem Faust, geht ihm eine Widmung „An die Leser," ein Prolog mit lebendigen und andern Gestalten, der zur Abwechslung statt auf dem Theater in einem Maleratelier spielt, und ein Vorspiel mit dem Dämon des Todes und einer Stimme aus den Wolken voraus. Das Gedicht selbst zerfüllt dann in einen Mythus, eine Tragödie und eine phantastische Komödie. Hält sich Seebers „Ewiger Jude" durchaus innerhalb kirchlicher Schranken und ist nichts mehr oder minder als die visionäre Verherrlichung der streitenden, leidenden und siegenden Kirche, so erweitert sich Haushofers gleichnamiges Gedicht zu einem Weltbild, das die größte Fülle des Lebens einschließt, zu einem Gedicht, das die mannichfachsten Töne anschlägt. Jede Vorstellung, die aus der