Der ewige Jude und der Teufel
77
Gewiß wäre es höchst unrecht, dem Dichter, dem eine tiefe und ernste Anschauung und echtes Talent nicht abgesprochen werden dürfen, ironisch zu begegnen. Gleichwohl erwehrt man sich, dem Übermaß von Mitleid und namentlich der Wendung gegenüber, daß der Teufel, nachdem er mit seinem höllischen Blasebalg die unheilige Glut des Radikalismus geschürt hat, nun unter den Konservativen zum Retter von Thron und Altar wird, nur schwer der Satire. Es giebt ein altes, kühnes spanisches Stück „Der Teufel als Prediger" (von Lope de Vegci oder Velmonte), in dem nach göttlichem Ratschluß der höllische Feind als Fray Diablo das Geld für ein Franziskanerkloster zusammenpredigen und einen verzagten Abt samt seinett Mönchen zum Gottvertrauen zurückführen muß, aber nach Martin Luthers Wort „kein Dank davon haben" soll. Darin liegt wahrlich mehr als in der schwächlichen Wendung, nach der in Rohrscheidts Gedicht der Teufel als königstreuer Held für seine demokratischen Sünden büßt. Gleichwohl schließt das Gedicht einen Zug zum poetisch Großen und zahlreiche echte Schönheiten ein. Trotz der unvermeidlichen Nachklänge aus Dante, Milton und Klopstock fehlt es nicht an poetischen Wendungen, die dem Dichter gehören, die Schilderung des letzten Tages der Menschheit vor dem Weltgericht oder die Erzählung von Wolfs Jngendfreveln mit den eingeflochtcnen Liedern (in der Episode „Der Tod des Sünders") reichen aus, Rvhrschcidt ein wirkliches, hoffentlich entwicklungsfähiges Talent zuzusprechen.
Dem reuigen Teufel schließt sich der lebenssatte oder mit dem Teufel verbündete Ahasver au. Zum Beweis, daß diese Sagengestalt gleichsam nur eine Hülle geworden ist, die jeder Schaffende mit einem beliebigen Inhalt füllen kann, liegen aus jüngster Zeit drei Gestaltungen des Stoffes vor, eine epische: Der ewige Jude von Joseph Seeber (Freiburg i. Br., 1895), und zwei dramatische, eine Trilogie Der ewige Jude, dramatisches Gedicht in drei Teilen von Max Haushofer (Leipzig, A. G. Liebeskind, 1894), und Ahasver, der ewige Jude, Mysterium iu drei Aufzügen und einem Vorspiel von Johannes Lepsins (Leipzig, Akademische Buchhandlung, 1895). Die Entstehung der beiden Dichtuugen von Seeber und Hanshofer mag ein paar Jahre zurückliegen, da sie schon in dritter und zweiter Auflage erschienen sind.
Die Dichtung von Seeber greift zwei Jahrtausende zurück und wie viele Jahrhunderte voraus, können wir nicht erraten. Ahasver erscheint hier als der siegreiche Feldherr eines Judenreichs, dem die Weltherrschaft gehört, und das die Millionenstadt, die Weltstadt Jerusalem zum Mittelpunkte hat. Das Volk Israel hat endlich sein Ziel erreicht, die Güter der Erde an sich gerissen, die übrigen Völker unter die Füße getreten, es schwelgt in Genüssen und vor allem in Rache für jahrhundertelang erlittene Unbill. Der längst gehoffte Messias, nach altjüdischem Glauben ein gewaltiger weltlicher König und ein