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Der deutsche Student am Ende des neunzehnten Jahrhunderts
ja das, was das Strafgesetz verbietet, auf Umwegen zur Pflicht macht, so ist das eine Unwahrheit, die das Rcchtsgefühl des Volkes in grober Weise beleidigt und erschüttert.
Auch in den folgenden Vorlesungen, die die studentischen Verbindungen, das Einjührigfrciwilligenjahr uud das Verhältnis des Studenten zu politischen und sozialeu Fragen behandeln, ist manches, was ernste Beachtung verdient. Wir heben davon nur einige Sätze hervor, die sich auf das Verhalten des Studenten zu den politischen Parteien beziehe»?. Zum Verständnis dieser Sätze sei jedoch daran erinnert, daß Ziegler gleich vielen andern an den Bestand der meisten gegenwärtigen Parteien nicht mehr glaubt und ihnen, wie er selbst sagt, keine Thräne nachweinen wird, wenn sie eines Tages das Zeitliche segnen. „Die Partei ist niemals das Ganze, hat also auch niemals ganz Recht, jeder haftet eine Einseitigkeit, ein Halbes und Endliches an, und daher darf sich der Stndent keiner Partei gefangen geben, sondern er soll sie mindestens theoretisch alle der Reihe nach entweder durchlaufen und durchmachen oder sich skeptisch zum Parteileben überhaupt stellen. Er soll also nicht konservativ oder freisinnig oder nationalliberal sein, sondern er soll an jeder dieser Richtungen neben dem Berechtigten auch das Mangelhafte erkennen. Dann geht er später als freier Mann in die Partei, die ihm am meisten zusagt, und wird auch in ihr kein verknöcherter Parteimensch und nicht politisch intolerant und fanatisch werden. Das alles wird zugleich zur Gesundung unsers öffentlichen Lebens beitragen: wir brauchen Männer, die über ihren Parteien stehen, um von innen heraus reinigend und müßigend auf diese zu wirken."
Ähnlich ist die Antwort, die Ziegler auf die in der jüngsten Zeit mehrfach und leidenschaftlich erörterte Frage giebt, ob und wie weit sich der Student mit der sogenannten sozialen Frage beschäftigen solle. Ohne die Vorschlüge, die er bei dieser Gelegenheit macht, im einzelnen zu prüfen, müssen wir doch sagen, daß er uns hie und da etwas zu weit zu gehen scheint, und daß bei der Befolgung seiner Ratschläge die Fachstudien zu Gunsten der sozialen Bestrebungen etwas zu kurz kommen würden. Unsre Austastung hat natürlich mit den Erwägungen, die von dem Freiherrn von Stumm gegen die sozialen Neigungen der studirenden Jugend ins Feld geführt werden, nichts zu schaffen; aber daß sich aus den Reihen der Universitätslehrer sehr gewichtige und unverdächtige Stimmen erhoben haben, die zur Besonnenheit mahnten, giebt doch zu denken.
In dem zweiten Abschnitt seines Buches, in den Vorlesungen über das akademische Studium, macht Ziegler, der in diesem Zusammenhang namentlich die Ausgabe der Universität, das Verhältnis des Professors zum Studenten, die Honorarfrage, die Seminarübungen, die Ferien und Examina bespricht, eine solche Menge trefflicher Bemerkungen und Vorschläge, daß wir uns vorbehalten, gelegentlich in einem besondern Aufsatze darauf zurückzukommen. Hoffentlich