Gin schweizerisches Strafgesetzbuch
ir haben im vorigen Jcihre (Heft 25) den von Professor 5?arl Stooß in Bern im Auftrage des schweizerischen Bundesrats bearbeiteten allgemeinen Teil des Entwurfs eines schweizerischen Strafgesetzbuchs besprochen. Inzwischen ist diese Arbeit im Eidgenössischen Justizdepartement durch Sachverständige begutachtet und fast in allen wesentlichen Teilen gutgeheißen worden. Im Anschluß an unsre frühere Besprechung sei uur hervorgehoben, daß auf die Verwahrung rückfälliger Verbrecher nicht bloß nach wiederholten Zuchthausstrafen, sondern allgemein schon nach zehn Freiheitsstrafen (wegen Verbrechen gegen Leib und Leben, gegen das Vermögen, gegen Treue und Glauben, gegen die geschlechtliche Sittlichkeit und Freiheit oder wegen gemeingefährlicher Verbrechen) erkannt werden soll. Zur Begründung wird der Fall einer gewissen Anna Pfister herangezogen, deren Strafregister bis zu ihrer Unterbringung in einer Arbeitsanstalt auf nicht weniger als 111 Freiheitsstrafen gediehen war. Stooß bezeichnet dieses Beispiel ausdrücklich als typisch und keineswegs vereinzelt. Der allgemeine Teil ist nun in der aus jenen Beratungen hervorgegangnen Fassung, die in zahlreichen Einzelheiten zugleich Verbesserungen ausweist, von neuem veröffentlicht und um den Vorentwurf des gesamten besondern Teils bereichert worden. Der Gesetzestext ist in deutscher und französischer Sprache gegeben, dem Entwurf ist wieder eine knappe Begründung beigefügt.
Auch diesem besondern Teile gebührt das Lob, das wir schon der ersten Arbeit zu zollen hatten: in Sprache und Inhalt mit den Bedürfnissen des Volkslebens enge Fühlung zu halten. Die Einfachheit der Begriffsbestimmung wirkt auf den an das einheimische Strafgesetz gewöhnten deutschen Juristen oft geradezu verblüffend. Man meint überall, es müsse etwas fehlen. Erst wenn man der Sache auf den Grund geht, zeigt sich, daß die klaren, von
Grenzboten III 1895 1