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Die deutsche Sprachinsel Gottschee
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Die deutsche Sprachinsel Gottschee

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hätte hier ihres Amtes gewaltet, wie jüngst bei den Grimmischen Märchen. Auch der Ausdruck vermeidet im Gegensatz zu den übrigen deutschen Volks­liedern jedes derbe Wort, jede unschickliche Situation, was freilich seine Er­klärung dadurch findet, daß fast nur Frauenmund das alte Gottscheeer Volks­lied überliefert. In diesem Umstände findet zugleich die auffallende Schlicht­heit der Darstellung und Nüchternheit der Auffassung ihren Grund; kamen doch bis in die jüngste Zeit die singenden Frauen aus dem engeu Gesichts­kreis ihres armseligen Bergdorfes kaum heraus. Alle Buch- und Stuben­gelehrsamkeit aber und ihre falschen Zuthaten hielt hier die scharfe Dornenhecke volkstümlichen Stolzes bis jetzt aus dem Rosengarten des Volksliedes fern; eine herbe, fast asketische innere Wahrhaftigkeit verschmäht sogar allen phan­tastischen, fremdländischen Prunk und Flitter, und ein deutlich wahrnehmbarer demokratischer Zug macht den Ritter zum Rekruten, entkleidet Geiger und Spielleute ihres königlichen Ranges und erniedrigt das Edelfräulein oder die Königstochter, die in deutschen Liedern von der Zinne ihrer Burg dem Sänge des Verführers lauscht, zum Bauermüdchen am Dachfenster. Eingang und Schluß der Lieder zeigen typische oder erstarrte Formen, ganz ähnlich wie die deutschen. Besonders beliebt sind zu Anfang:Wie früh ist auf (folgt der Name des Besungnen), Maria oder der Sonntag" u. s. w., oderEs waren zwei Liebe,"Es waren zwei Gespielen" oderDort steht eine grüne Linde" und ähnliches; für den Schluß, wenn sich das Schicksal zum Guten wendet:Du bist mein, und ich bin dein," während bei unglücklichem Aus- gaug gerne der Blumen Erwähnung gethan wird, die auf den Grübern der Liebenden gepflanzt werden. Syntaktisch bemerkenswert ist die nachdrückliche Wiederholung des Hauptbegrifss aus dem ersten Verse in dem ersten Gliede des zweiten, wodurch der Rhythmus eine eigentümliche Schwere erhält:

Sie werden euch geben ein Gläschen Wein,

Ein Gläschen Wein, ein Stückchen Brvt

oder von der Linde:

Aus mir werden sie machen einen Altartisch, Einen Altartisch, einen Predigtstuhl.

Das Auffallendste aber an den Gottscheeer Liedern altertümlichen Ursprungs ist ihre völlige Neimlosigkeit, mit der sie in der germanischen Volksliederlitteratur einzig dastehen, die sich jedoch durch den zwischen je zwei Zeilen regelmäßig eingeschobenen Kehrreim ganz natürlich erklärt. Eine Ausnahme bilden nur die erst in jüngster Zeit aus Deutschland in die Sprachinsel eingeführten Lieder, die sich überdies aller charakteristischen Gottscheeischen Formeln ent­halten und fast ausschließlich von Männern gesungen werden. Sonst ruht, wie gesagt, die vestalische Priesterschaft des Gottscheeer Volksliedes bei den Fraueu, namentlich bei den ältern, die sich Zeit zu beschaulicher Erinnerung nehmen können. Aber auch jungen Mädchen geht die Liederkunde nicht ganz