Das Börsonspiel
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verkaufe dir aber diese wertvolle Sache, die du gleich wieder verkaufen kannst. Dann hast du ebenso gut Geld in der Tasche, als ob ich dir ein Darlehen gegeben hätte." Dieser Verkauf war uicht eiu simulirtes Geschäft; er war ganz ernstlich gemeint. Der Verkäufer wollte daraus uicht eine Darlchnsklage, sondern eine Kaufklage erwerben; und deu Erwerb einer solchen hatte das Gesetz uicht verboten. Was sagte» aber die römischen Juristen? Ein solcher Verkauf ist im Grunde nichts andres als ein Darlehen. Er ist ein verschleiertes Darlehen; und deshalb wird auch aus ihm keine Klage gewährt. Und damit entsprachen sie nur dem wahren Willen des Gesetzgebers.
Ganz ähnlich nun, wie nach dem angeführten Beispiel ein Darlehen (nicht im juristischen, wohl aber im wirtschaftlichen Sinne) in die Form eines Kaufvertrags eingekleidet werden kann, kanu auch eiu Spiel in die Form eines Kaufvertrags eingekleidet werden, wenn nämlich gar nicht die wirkliche Erfüllung des Vertrags beabsichtigt ist, sondern infolge des Kaufs nur die Differenz zwischen dem jetzigen und dem zukünftigen Preise der Sache von einem an den andern Kontrahenten herausgezahlt werden soll. Das ist der Inhalt einer großen Menge von Termingeschäften, wie sie etwa seit einem halben Jahrhundert au unsrer Börse üblich geworden sind. In ihren ersten Anfängen mögen jn die Termingeschäfte ernsten wirtschaftlichen Zwecken gedient haben. Aber bald gewahrte man, daß sie im Hinblick auf den jederzeit feststellbaren Kurswert des Kaufgegeustandes sehr bequem zum Spiel verwendet werden können. Man kaufte und verkaufte lediglich in der Absicht, die Differenz zu gewinnen. Der Kauf wurde dadurch zum Spiel im wirtschaftlichen Sinne. Diese Art der Termingeschäfte hat heute die ganze Börse überwuchert.
Daß die wahre innere Natur dieser Geschäfte lange Zeit hindurch von den Gerichten nicht genügend erkannt wurde, hat verschiedne Ursachen. Zunächst waren, wenn ich mich nicht täusche, die innern Verhältnisse der Börse i» juristischen Kreisen zu weuig bekannt. Ungünstig wirkte aber anch, daß zwei Lehren, die gerade hier zur Anwendung hätten kommen müssen, einigermaßen in Versall gerate« waren. Der heutigen Jurisprudenz ist vielfach die Anschauung vou dem Wesen der zur Umgehung des Gesetzes dienenden Geschäfte abhanden gekommen. Man fühlte wohl, daß in solchen Geschäften eine Unwahrheit stecke, glaubte aber, daß dieser Unwahrheit uicht anders als mit der Lehre von der „Simulation" beizukommen sei. Da aber diese Lehre mcht paßte, so wußte man mit solchen Geschäften uicht fertig zu werden. Ein andrer Mangel lag darin, daß der Ziviljustiz vielsach das Verständnis für den sogenannten Indizienbeweis, d. h. den Beweis, der sich aus der Gesamtheit der Umstände ergiebt, verloren gegangen war. Erst der durch die Zivilprozeßordnung eingeführte Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat dieser Art der Beweisführung wieder vollen Raum verschafft. Aber gerade für die Erkenntnis von Geschäften, durch die ein Gesetz umgangen wird, ist diese Art von Beweis-