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Die Landarbeiterfrage
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tigkeit des Verkehrs versteht es sich ganz von selbst, daß die Arbeiter aus den Gegenden des niedrigen Lohnes in die des hohen, ans dein Osten in den Westen strömen, wenn ihnen ihre Mittel nicht übers Meer zu wandern ge­statten, geradeso, wie die Söhne des Bürgerstandes allemal dem Berufe zu­strömen, der die besten Aussichten eröffnet oder zu eröffnen scheint.

Die Auswcmdrung gehört zwar streng genommen nicht zn unserm Thema, hängt aber doch damit zusammen, und so wollen wir denn einer Erscheinung gedenken, die beweist, in wie erstaunlichem Grade bei uns das Verständnis für die einfachsten Vorgänge im Volksleben abgenommen hat. Wie schon oft seit zwanzig Jahren, hat man auch auf der letzten Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik hervorheben zu müssen geglaubt, daß, wie nicht die schlechtesten, sondern die besten Arbeiter abwandern, so auch nicht die herunter- gekommnen Bauern übers Meer fvrtziehn, sondern solche, die noch etwas haben. Solchen Hinweisungen liegt wohl meistens die Absicht zu Grunde, die Hörer zu dem Schlüsse zu verleiten einem Schlüsse, den der Redner selbst vorher gezogen hat: da Auswanderung ein Zeichen von Wohlstand ist, und da nur solche Arbeiter abwandern, die der Haber sticht, so ist gerade die starke Wanderung ein Beweis dasür, wie gut es unsern: Volke im allgemeinen und dem Arbeiteiterstande im besondern geht. In diese Trugschlußkette hat mau aber nur darum geraten können, weil der gesunde Instinkt des Volkes weithin unterdrückt und irregeleitet ist, sodaß er, wo er noch hervortritt, Staunen erregt und halb unverstanden bleibt. Bei allen leiblich und geistig gesunden Völkern wandert alljnhlich ein Teil der rüstigen Jugend aus, sobald es an Land zu fehlen anfängt. Der westfälische, der oldenburgische, der holsteinische Hofbesitzer läßt den zweiten Sohn studieren, und den dritten schickt er mit einem Kapital übers Meer, damit er sich dort einen Hof gründe. Der pom- mersche, der westpreußische Bauer, der weniger begütert ist und noch dazu uach Landessitte sein Vermöge» unter seine Kinder teilen müßte, wandert selber aus, weil er drüben Aussicht hat, seine Kinder mit seinem kleinen Vermögen anständig versorgen zu können, was er hier nicht kann. Die Leute wandern also freilich nicht aus, weil es ihnen schon jetzt schlecht ginge, aber sie wandern aus, weil es ihnen und ihren Kindern schlecht gehen würde, weil diese ins Proletariat versinken würden, wenn sie daheim blieben. Nicht der Wandertrieb ist etwas krankhaftes, und nicht das Volksgehiru ist krank, das ist vielmehr gerade an der fraglichen Stelle kerngesund, sondern das Gehirn der Regie­rungen ist krank, die jenen gesunden Trieb, den Trieb des natürlichen Wachs­tums , beklagen uud seiner Äußerung allerlei Hemmnisse bereiten, anstatt für Gelegenheiten zu einer Kolonisation zu sorgen, die, indem sie das Bedürfnis des Volkes befriedigte, zugleich die Macht des Vaterlandes vermehren würde.

Also die Aus- wie die Abwanderung bedarf weiter keiner Erklärung, und welche verderblichen Wirkungen die Entvölkerung des Ostens in Volkswirt-