Ein italienischer Katholik über die Freiheit 1Y5
Menschheit vvn der Sklaverei durch die Hörigkeit hindurch zur persönlichen Freiheit, aber wie sich im Nahmen dieser drei juristischen Begriffe die Lage der Menschen zn verschiednen Zeiten und an verschiedneu Orten thatsächlich gestaltet hat, darüber hören nur nichts.
Wie unfruchtbar diese von der Erfahrung absehende BeHandlungsweise für das Leben ist, zeigt sich besonders in dem Kapitel: „Von der Idee der Freiheit in Beziehung ans die soziale Frage," dessen Inhalt wir abgekürzt wiedergeben wollen. Zuvor werfen wir aber einen Blick auf das vorhergehende Kapitel, worin der Verfasser mit einem Radikalismus, der einerseits an Rousseau, andrerseits an die Sozmldemokraten erinnert, alle gesellschaftlichen Vorrechte bekämpft. Der christliche Glaube, daß alle Menschen Kinder Gottes sind, dessen Wesen die Liebe ist — führt Cenni aus —, schneidet alle Ausprüche auf Vorrechte der einen über die andern au der Wurzel ab; er duldet keinerlei Privilegium, mag es aus dem Genie, oder ans der Tugend, oder ans dem Amte, oder aus der Geburt abgeleitet werden. Mit Feuer bekämpft er den Legi- tismus De Maistres, jede» Absolutismus und das Adelsvvrnrteil, „diesen letzten Kehricht des Mittelalters." Er beruft sich in diesem Stück vorzüglich auf Dante, den er überhaupt als Meister verehrt. Nach der Entwicklungstheorie allerdings, deren wirkliche Urheber, wie er richtig zeigt, nicht sowohl Darwiu und Herbert Speueer als vielmehr Spinoza nnd Hobbes sind, gilt das Vorrecht des Stärkern, uimmermehr aber nach dem Glauben des Christen- tnms. Aus höherer geistiger Begabung z. B. entspringt nicht das Recht, die minder begabten zn beherrschen, sondern bloß die Pflicht, sie zn belehren und zu bilden. Im Christentum, das die Demut für die Wurzel aller Tugenden und den Hochmut für die Wurzel aller Sünden erklärt, ist jede Aristokratie unmöglich, denn Aristokratie ist nichts andres, als die Verkörperung des grundsätzlichen Hochmuts. Jede der vier Hauptarten der Aristokratie charakterisirt Cenni mit einem Beiwort; die Plntvkratie ist die roheste, die Beamtenherrschaft die am meisten tyrannische, die Bildnngsaristokratie mephistophelisch, der Gebnrtsadel nichtig (vuow, hohl). Edel — sagt er — nennen wir ein Wesen, das gewisse nur ihm eigne, andern Wesen unerreichbare Borzüge besitzt; das Pferd, nicht das Krokodil, nennen wir ein edles Tier. Unter alleu irdischen Wesen aber ist der Mensch das edelste, und unter den Menschen wiederum sind die edelsten, deren Geist und Gemüt der Idee der Menschheit am nächsten kommt. Dieser Adel ist aber rein persönlich und kamt uicht vererbt werden. Edle Väter haben oft sehr unedle Söhne, und mit dem Stande hat dieser Adel gar nichts zu thun; sind doch viele Geister ersten Ranges, wie Shakespeare, dem niedrigsten Stande entsprossen. Ein edler Mensch adelt wohl seine Familie, nie aber vermag die Familie ihren Sprößling zn adeln. Und wie die Vorzüge des Geistes nnd Herzens, so sind mich die Verdienste nicht vererbbar; nichts lächerlicheres als jemanden für die Verdienste seines Vaters Grenzboten IV 1893 14