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Die Sozialdemokratie und der Staatssozialismus
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Die Sozialdemokratie und der Staatssozialismns

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Unaufhaltsamkeit der fortschreitenden Demokratisirung der Staatsgewalt" hegt, den Staatssozialismns daher eigentlich für durchaus ungefährlich hält.

Herr Liebknecht dagegen verdammt unbedingt jede Unterstützung des Staats- svzialismus. Der alte Gedanke, die Forderungen des Sozialisinus durch den heutigen despotischen Staat durchzusetzen, sei undurchführbar, das demokra­tische Element habe der Sozialdemokratie zn ihrer jetzigen Macht verholfen, habe sie vor der tvtlichen Umarmung durch den Staatssozialismus bewahrt, in dessen Bahnen die Lassallesche Bewegung geraten gewesen sei; ja in schnei­dendem Gegensatze zu allein, was Herr von Vollmar in seiner Schrift aus­geführt hat, kommt Herr Liebknecht zu dem Schlüsse, daß der Augenblick, wo der Staatssozialismns im heutigen Staate zur vollen Herrschaft gelange, immer näher rücke, und daß der letzte Kampf, den die Sozialdemokratie zu bestehen habe, dann ausgefochten werde nnter dem Schlachtrufe: Hie Svzinl- demokratie, hie Staatssozialismns!

Ganz ebenso, wenn auch etwas vorsichtiger, spricht sich Herr Kautsky, der Theoretiker der Partei, in seinem in derNeuen Zeit" abgedruckten Aufsatz überVollmar und den Staatssozialismns" aus.Was läge, so heißt es da, der preußisch-deutschen Reichsregiernng näher als der Staatssozialismus, der demselben Boden entsprungen ist, wie sie? Wenn dann ein geschickter Staatsmann an der Spitze der Regierung stünde, konnte der Staatssozia­lismns der Sozialdemvkratie noch gefährlich werden, indem er Verwirrung in unsre Reihen trägt, gefährlicher als die kaiserliche Botschaft von 1881, denn unsre Bewegung ist seitdem ungehener in die Breite gegangen, und es ist nicht zu erwarte», daß die Masse der neuen Rekruten bereits vollkommen fest sei."

Wir können die Ansicht, daß es sich bei der Liebknecht-Vollmarschen Aus­einandersetzung mir um theoretische Haarspaltereien gehandelt habe, nicht teilen. Unmittelbare praktische Bedeutung hat der Streit zwar nicht, weil die Grund­lage, aus der er sich entwickelte, eine der Wirklichkeit nicht entsprechende An­nahme war, nämlich die Annahme, daß sich der heutige Staat auf den Boden des Staatssozialismus gestellt habe. Aber höchst wichtig war dieser Zwist über eine angebliche Doktorsrage doch, nnd wir empfehlen ihn der Aufmerksam­keit aller unabhängigen Männer, die sich ihren Blick nicht durch Parteivor­urteile haben trüben lassen.

Wenn sich schon bei der bloßen Erwähnung des Staatssozialismns inner­halb der Sozialdemvkratie ein Streit erhob, der nahe daran war, die Partei auseinander zu sprengen, wie wird es erst werden, wenn der Staatssozialismns wirklich ans Ruder kommt? Und wo sind denn die Staatssvzialisten, die diese Regierung stützen könnten, mit denen Herr Liebknecht den Entscheidnngskampf kämpfen will, nnd denen er die Ehre erweist, sie als seine gefährlichsten Gegner zu bezeichnen? Einige Professoren der Nationalökonomie, eine Anzahl höherer Militärs, ein Teil des höhern Bemntentnms und einige Großgrundbesitzer,