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J. G. Fichtes geschlossener Handelsstaat
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dadurch, daß wir auch aus seinen Irrtümern mehr lernen können, als von dem andern aus seinen Wahrheiten; denn seine Irrtümer entstehen aus der Wahrnehmung wirklicher Aufgaben, die ihrer Lösung harren, und auch der verfehlte Lösungsversnch eines denkenden Kopfes deckt Schwierigkeiten auf, an denen der gewöhnliche Mensch vorbeigeht, ohne auch nur eine Ahnung so­wohl von ihrem Vorhandensein als auch von der Notwendigkeit ihrer Lösung zu haben.

Wenn sich bei irgend einem dieses Privilegium des geistreichen Menschen geltend macht, so ist es bei Fichte der Fall, diesem auch darin merkwürdigsten unter deu deutschen Philosophen, daß sich bei ihm der Mensch stets mit dem Schriftsteller deckt uud jede große Einsicht sofort anch zum großen Entschluß wird. Seine politischen Theorien sind wie seine philosophischen einseitig und darum meist unausführbar; aber da er ein Mensch von größter Folgerichtigkeit im Denken wie im Handeln war, ein Mensch von der höchsten sittlichen Kraft, der sich rücksichtslos dem Guten, das er als solches erkannte, hingab, und der im Dienste der Idee nie Furcht noch Zaudern kannte, so ist es für uns von hohem Interesse, seine Gedanken auf einem Gebiete kennen zu lernen, das heutzutage die ganze Kulturwelt so beschäftigt, wie die soziale Frage. Diese nämlich ist es, die Fichte in seiner Schrift vomgeschlosfenen Handelsstaat" in Angriff nimmt, die im Jahre 1800 erschien. Sehen wir zu, auf welche Weise Fichte in dieser Schrift die soziale Frage behandelt.

Da sich alle sozialpolitischen Behauptungen Fichtes nach seiner eignen Aussage auf seine Theorie vom Eigentum gründen, so ist zuerst hier festzu­halten, daß für Fichte Eigentum lediglich aus einem Vertrage entsteht. Vor diesem Bertrage haben alle ans alles dasselbe Recht. Erst die Verzichtleistung aller auf etwas, das ich für mich zu behalten begehre, ist mein Rechtsgrund. Die, die den Vertrag schließen, bilden die Allheit, das geschlossene Ganze, das wir Staat nennen. Er allein kann also Eigentumsrecht begründen.

Die nähere Art dieses Vertrages und zugleich die Antwort auf die Frage, wie die Einsetzung in Eigentum vor sich geheu müsse, lautet: durch Teilung. Damit meint Fichte aber nicht etwa Gleichteilung, woran wir immer zuerst deuten, wenn vom sozialistischen Staat die Rede ist, sondern bei der weitern Frage, wie diese Teilung gemacht werden müsse, kommt er zu folgender Be­trachtung. Der Zweck aller menschlichen Thätigkeit ist der, leben zu können. Auf die Möglichkeit dazu haben alle deu gleichen Rechtsanspruch; also muß die Teilung so gemacht werden, daß alle dabei bestehen können. Weiter sagt er:Jeder will so angenehm leben, als möglich; und da jeder das als Mensch fordert, und keiner mehr oder weniger Mensch ist, als der andre, so haben in dieser Forderung alle gleich Recht. Nach dieser Gleichheit ihres Rechts muß die Teilung gemacht werden, so, daß alle und jeder so angenehm leben könne, als es möglich ist, wenn so viele Menschen, als ihrer vorhanden sind, in der