Zur Unfallversicherung der Arbeiter
485
sie nach Möglichkeit bestrebt sind, solche ärztliche Gutachten herbeizuführen, und zu diesem Zwecke die Verletzten einer fortgesetzten Kontrolle unterwerfen. Sie haben als treue Verwalter die Pflicht, in der Bewilligung der Renten nicht über das Maß hinauszugehn, das gesetzlich dafür vorgeschrieben ist, und es läßt sich auch nicht verkennen, daß sie gerade durch die Neutenherabsetzungen große Ersparnisse sür ihre Berufsgenossenschaften herbeigeführt haben.
Es fragt sich nur, ob die Herabsetzungen, wenn sich auch vom gesetzlichen Standpunkte gegen ihre gegenwärtige Handhabung nichts einwenden läßt, auch immer der Billigkeit und den Interessen der Allgenieinheit entsprechen, und ob es nicht angebracht wäre, bei einer Revision des Gesetzes auch die Bestimmungen des Z 65 abzuändern.
Drei Erwägungen verdienen hier Beachtung. Erstens können auch die Ärzte den Grad der vcrbliebnen Erwerbsfähigkcit immer nur schätzen, aber nicht genau wissenschaftlich abmessen. Auch die Ärzte können sich irren, uud wenn auch Fälle, wie der kürzlich iu den Zeitungcu veröffentlichte, wo drei Arzte einen Verletzten einstimmig für einen Simulanten gehalten hatten, und sich nun nach Jahren heransgestellt hat, daß er an traumatischer Neurose, einer durch äußere Verletzung hervorgernfncn schweren Nervenerkrankung leidet, zum Glück zu deu Ausnahmen gehören, so fallen doch die Untersuchungen bei verschicdncn Ärzten immer verschieden aus, und selbst für eineu Arzt, der i» der Abschätzung der Arbeitsfähigkeit vou Unfallverletzten große Erfahrung hat, wird es schwer sein, zu entscheiden, ob ein Patient zu fünfzig oder sechzig, zu zwanzig oder fünfundzwanzig Prozent erwerbsfähig sei. Der Arzt kann vielleicht bei einer spätern Untersuchung gegen eine frühere eine kleine Besserung feststellen. Die Besserung liegt unzweifelhaft vor, und sie läßt sich auch vielleicht an sich mit einiger Sicherheit in Prozenten der vollen Erwerbsfähigst abschätzen. Aber ihr relatives Maß ist so klein, daß es noch innerhalb der Fehlergrenze liegt, innerhalb deren bei der ersten Untersuchung eine Unterscheidung nicht mehr möglich war. Vielleicht hat der Verletzte erst jetzt den Grad von Erwerbsfähigkeit erreicht, der damals irrtümlich etwas zu hoch gegriffen war. Also warte man doch lieber mit der Neufeststellung der Rente, bis die Besserung solche Fortschritte gemacht hat, daß man, ohne auf die Ergebnisse der frühern Untersuchung zurückgreife!? zu müsse», zu wesentlich andern Ergebnissen als damals gelangt.
Schlimmer aber als die Herabsetzung der Rente selbst in den Fällen, wo sie nach dem Urteil des Arztes vorgenommen werden kann, ist, daß man bei dem Hernbsetzungsverfahreu nicht immer mit der nötigen Schonung zu Werke geht, namentlich da nicht, wo die Verwaltung zeutralisirt ist und alles etwas schablonenhaft gehaudhabt wird. Man versetze sich iu die Lage eines solchen Verletzten, der aus der ärztlichen Behandlung einstweilen entlassen ist. Er bezieht eine kleine Rente von der Berufsgeuosscuschaft, hat vielleicht noch gar