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am Morgen nicht wissen, wo ich am Abend mein Haupt hinlegen werde. Das andre ist freilich bequemer. Aber wenn es sich bloß um die Bequemlichkeit handelt, dann ist es doch noch viel bequemer, zu Hause zu bleiben, wie es ja auch das sicherste, ja geradezu ein unfehlbares Mittel gegen die Seekrankheit ist, am Lande zu bleiben. Aber dann kann man ja nicht mitreden, und viele Leute reisen doch nur deshalb in der Welt herum, um mitreden zu können. Es giebt sogar Erdumsegler, die keinen andern Zweck haben; Olovs-trottsr nennt sie der Engländer. Diese sind imstande, dnrch die japanische Inland-See, also durch eine der herrlichsten Gegenden der ganzen Welt zu fahren, und dabei — Skat zu spielen. Hernach aber redet man mit, wenn über Japan geredet wird.
Aber Dornum? Beinahe hätte ich geschrieben: Dornum ist ein Ort, wo alle Leute die Hände in den Hosentaschen haben. Denn was das Auge hier von menschlichen Wesen erblickt, das nimmt ohne Ausnahme diese Stellung ein: der Hoteldiener, der Arbeiter, der Handelsmann und — nachdem er sich davon überzeugt hat, daß der Briefkasten am Bahnhöfe leer ist — sogar der Briefträger, trotz seiner Uniform! Vier Männer neben einander aufgebaut, alle vier die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, wahrlich ein Bild zum Photographiren! Und hier weiß ich mich nun wirklich frei von Voreingenommenheit. Nein, Wenns auch „per Blitzzug" geht, über diese unanständige Haltung werde ich mich immer empören. Es sieht gottsjämmerlich aus, Leute, denen Gott gerade Glieder hat wachsen lassen, so in sich selbst zusammengesunken, vornübergebeugt, als ob sie die Schwindsucht hätten, einherschlurren zu sehen, denn gehen kann man das doch nicht nennen, wenn sich einer fortbewegt, ohne die Füße von der Erde zu bringen. Hätte ein Fremder diese Schönheitsgalerie des Dornumer Bahnhofs gesehen, etwa ein Engländer — doch die stecken ja selber die Hände in die Hosentaschen. Also ein Franzose! Aber da kommen wir aus dem Regen in die Traufe; die thuns erst recht. Es scheint ein weitverbreiteter Unfug zu sein. Nur daß es bei den Franzosen, die die Taschen auf den Seiten an der Naht haben, lange nicht so häßlich aussieht, als bei den vier Dornumern, denen sie vorn auf dem Leibe sitzen. Da ich mir nun nicht einbilde, durch meinen Tadel irgend jemand diese Unart, die wahrscheinlich von den meisten ganz unbewußt geübt wird, abzugewöhnen, so richte ich wenigstens an alle deutschen Schneider, denen diese Zeilen zu Gesicht kommen sollten, die dringende Bitte im Interesse des nationalen An- stands: Bringt, bitte, die Taschen möglichst weit nach hinten an! Ihr seid es, die noch am ehesten hier eine Änderung zum Bessern, Schönern, Anständigern herbeiführen könueu!
In dieser Hoffnung will ich den vier Männern von Dornum den gegebnen Anstoß verzeihen, umsomehr, als sie einen so beredten Fürsprecher bei mir haben. Sein Mund ist schon etliche hundert Jahre stumm, und doch spricht er laut und einnehmend für alles, was irgend etwas mit Dornum zu thuu hat. Ich meine den ehrenfesten, treuen, frommen Juuker Ulrich von Dornum. Der war der einzige aus der ganzen Harlinger Sippe, der dein „Regierhause" unwandelbare Treue hielt. Er mußte sich dafür von seinem saubern Bruder Hero Omken und von unserm Freunde, dem nicht minder saubern Balthasnr, seinem Neffen, sein väterlich Erbteil und seine Güter vorenthalten lassen, aber darum ist er doch in seiner Treue „unentwegt" geblieben. Überall, wo es was Gutes und Rechtes galt, war er zu finden. Ein besonders großes Verdienst hat er sich um das Religionsgespräch zu Oldersum erworben.