Geduld
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noch rechtzeitig ein, daß es hier gar keine Gegend giebt, gar keine geben kann. Denn da, wo jetzt der Bahnhof von Sande steht, wälzte einst die Jade etwa hundert Jahre lang ihre sturmgepeitschten Fluten. Bis nahe an die Kirche von Sande hatte ja die Antoniusflut 1511 das Lcmd dem Meere gewonnen, und nur nach und nach ist es dem Meere wieder abgewonnen worden. Das giebt nun zwar guten Marschboden und fette Bauern, aber keine Gegend. Und wo die nicht ist, da giebts auch keine Aussicht. Also lassen wir nur das Fenster zu und fassen wir uns in Geduld. Wir sind ja so geduldig!
Sehr von uns selbst überzeugt, setzen wir uns endlich auf Jever in Bewegung. Laß mich schweigen, lieber Leser, von der Enttäuschung, die uns schon nach fünf Minuten wieder Sanderbusch bereitet, denn da halten wir wieder, und in Ostiem auch. Der Vizeadmiral Vatsch hat neuerdings eine Lebensbeschreibung des Organisators der deutschen Kriegsmarine, des Prinzen Adalbert von Preußen, herausgegeben. Dieser Prinz war durch seine Mutter Marianne, die unter dem Namen Prinzeß Wilhelm von Preußen am bekanntesten ist, mit dem Fürstenhause Hessen-Hombnrg verwandt. Mit Stolz rühmte er es, daß eine so stattliche Reihe seiner homburgischen Oheime in den Freiheitskriegen mitgefochten und immer und überall im Vordertresfen gestanden hatte, und mit besondrer Genugthuung erfüllte ihn, daß einst dem Kaiser Napoleon nach einer Niederlage der Ausruf entfuhr: Überall ein Homburg! So können wir hier sagen: Überall ein Bahnhof! Wenigstens eine Haltestelle. Gehalten wird unfehlbar. In Heidmühle sogar recht lange. Von welchen Strapazen sich das Vahnpersonal hier ausruhen mußte, war ich bescheiden und geduldig genug, nicht zu fragen. Ich vermute aber, die Männer wollten sich bloß stärken und vorbereiten auf die Ruhepause von zehn, gut zehn Minuten, die in Jever auf sie wartete.
Natürlich liegt auch der „Bahnhof Jever" wieder in unnatürlicher Entfernung von der Stadt gleiches Namens. Sonst könnten wir wenigstens die für uns unfreiwillige Ruhe dazu verwenden, die Getreuen von Jever oder Edo Wiemken den Jüngern oder seine noch jüngere Tochter Maria im Vorbeigehen zn besuchen. Aber so sind wir verurteilt, nur weitere Übungen in der Geduld anzustellen. Das können wir denn auch, und zwar indem wir nun schon immer anfangen, unsre Hoffnungen auf „Köln, rechtsrheinisch" zu setzen. Wir müssen doch bald in Wittmund sein, und da fängt Köln rechtsrheinisch an. Preußen ist bekanntlich schneidig, und alles, was rheinisch heißt, ist erst recht schneidig. Also hoffen wir ans Wittmund. Mit hochgespannten Erwartungen fahren wir dieser Großstadt entgegen. Bald wird das 6, 0, L.*) ein Ende haben, dann —
In der frohen Hoffnung baldigen Triumphes nötigt uns Vereinigung, nötigt uns Asel nur ein mitleidiges Lächeln ab. Mit einem siegesfroheu Endlich! und mit der Gewißheit, daß nun die Tugend unsrer Geduld, wie jede Tugend, ihren Lohn finden werde, fuhren wir in Wittmund ein. Das heißt, wenn ich sage, wir fuhren ein, so ist das doch etwas zuviel gesagt, der geneigte Leser möge diesen Optimismus meiner gehobnen Stimmung zu gute halten. Denn wir hielten, ehrlich gesagt, auch hier auf freiem Felde.
. *) Der Volkswitz las dieses 6. 0. V., das Großherzoglich Oldenburgische Eisenbahn be- oeuiet, bisher: Ganz ohne Eile; da aber nunmehr ein Schnellzug von Bremen nach Wilhelms- ynvcn eingelegt ist, liest er: Ganz ordentliche Eisenbahn!