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Albrecht Dürers Jugendentwicklung
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Albrecht Dürers Iugendentwicklung

den italienischen Meistern seiner Zeit erfahren hat. Ich mußte darauf auf­merksam machen, daß Springer diese zu überschätzen, dagegen die der ältern deutschen Kuust zu gering anzuschlagen scheint. Dieser Standpunkt hängt aufs engste mit einem noch immer herrschenden ästhetischen Vorurteil zusammen. Es ist zwar schon von verschiednen Seiten (z. B. neuerdings von W. von Scidlitz, Nob. Bischer, H. Thode) ausgesprochen worden, daß Dürers Kunstideal ein andres sei als das der antiken und italienischen Kunst, daß er uur aus diesem Ideal heraus verstanden, nur mit dem Maßstabe der deutschen Kunst gemessen werden könne. Trotzdem verfällt man immer wieder in den Fehler, eine Rangvergleichung zwischen der Dürerischen und der italienischen Kunst anzu­stellen. Man hat sich einmal gewöhnt, Dürer mit der italienischen Brille zu betrachten, und von dieser Gewöhnung will man nicht lassen. Nur W. von Seidlitz hat in mehreren Rezensionen ausgesprochen, daß wir gar nicht berechtigt seien, die angebliche Häßlichkeit der Dürerischen Gestalten zu tadeln, ja daß wir nicht einmal nötig hätten, Dürer ihretwegen zu entschuldigen, daß es vielmehr nur darauf ankomme, seine Kunst als den für ihre Zeit höchsten Ausdruck des germanischen Kunstideals zu verstehen. Wenn wir aus deu Schöpfungen der größten Künstler aller Zeiten das künstlerische Ideal der romanischen und der germanischen Nasse ableiten wollen, so ergiebt sich, daß die Romauen, ins­besondre die Italiener, vor allen Dingen einem großen und formal abge­schliffnen Stil im Sinne der Antike zustreben, einem Stil, der allerdings nicht ohne Naturstudium deutbar ist, der aber als etwas wesentliches und selbständiges aus dem Naturstudium herauswächst, während die Deutschen vielmehr das Studium der Natur als das wesentliche in der Knnst betrachten und dieses Naturstudium mit einem nur ihnen eigentümlichen Sinn für tiefen Gefühls- und Gedankenausdruck zu verbinden sucheu. Mnu uehme nur eine Reihe wirklich bedeutender deutscher Künstler, wie Schongauer, Dürer, Holbein, Menzel, v. Uhde, v. Gebhardt, und frage sich^, ob diese Kennzeichen nicht durchweg bei ihnen zutreffen, ob ihre Schöpfungen nicht durchweg gleichzeitig uaturalistisch und gedanken- oder gefühlvoll sind! Das ist ja gerade die Achillesferse des modernen, bewußt inhaltslosen Realismus, daß er sich frei­willig des großen deutschen Kunstideals, des Gedanken- und Gefühlsausdrucks, bcgiebt. Das war ja andrerseits die Schwäche der deutschen Kuust in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts, daß sie neben dem Gefühls- und Gedanken­ansdruck nichts von Natnrstudium wissen wollte, sondern statt dessen vielmehr einem uudeutschen Formalismus huldigte. Nur in der Verbindung von Naturalismus mit Gedanken- und Gefühlsausdruck beruht für unsre deutsche Kunst das Heil der Zukunft.

Wenn man deshalb einen Künstler wie Dürer richtig auffassen will, so darf man nicht fragen, inwieweit er die formale Vollendung der Italiener er­reicht habe oder nicht, sondern vielmehr, inwieweit er dem spezifisch germanischen