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Vaterlande, der Dynastie nnd der Persvn des Monarchen gehört ihr patriotisches Herz. Die ungläubigen Armen sind sämtlich erklärte Staatsfeinde. Die religiös kühlen und die ungläubigen Wohlhabenden und Reichen sind fast ebenso ausnahmslos warme Freunde nnd Verehrer des Staates; die cdlern darunter, weil sie den Wert des Staates für Volk nnd Vaterland erkennen und in der Arbeit für deu Staat ihre Ideale zn verwirklichen hoffen, die uucdlern, weil ihnen der Staat ihre bevorzugte angenehme Lebensstellung sichert, nnd weil sie sich durch ihre» Einfluß auf die Gesetzgebung des Staates materielle Vorteile zn verschaffen vermögen. Auch ihnen fällt der Staat keineswegs mit Volk und Vaterland zusammen; diesen beiden gereichen die Maßregeln, zu denen sie deu Staat überreden, nicht selten zum Schaden. Sollen sie einmal Opfer fürs Volk bringen, dann drohen sie wohl, „das Kapital" werde auswandern.
Also für unsern Staat ist es unter den heutigen Umständen eine Lebensfrage, daß dem Volke die Religion erhalten bleibe. Ob die Maßregeln, die er für diesen Zweck anzuwenden Pflegt, Erfolg versprechen, kann hier nicht untersucht werden. Der Religionsunterricht in der Schnle wird um so erfolgreicher sein, je geschickter er erteilt wird, je vollkommner der übrige Unterricht mit ihm harmvnirt, je weniger er von dem Geiste des Elternhauses abweicht, nnd je mehr Anziehungskraft die betreffenden Religivnsgesellschaften auch außerhalb der Schule auf den junge» Menschen auszuüben verstehen. Folgende beiden Anekdoten dürften der Erwägung nicht ganz unwert sein. Ein hochgebildeter, streng gläubiger Katholik, der nur Töchter hatte, sagte mir einmal: „Wenn ich einen Sohn hätte, so würde ich ihn auf ein protestantisches Ghmnasinm schicken. Ungläubig sind die Philologen beider Konfessionell. Hat der Knabe protestantische Lehrer, so kann ich ihm sagen: Diese Herru haben eine andre Religion als wir; in allen andern Dingen mnßt du ihuen glauben, nnr in allem, was die Religion betrifft, darfst du ihnen kein Wort glauben. Was soll ich ihm aber sagen, wenn er Lehrer hat, die sich katholisch nennen?" Das war vor 1870; seitdem sind die katholischen Akademiker durch ihre konfessionellen Studentenverbindungen wieder glänbiger oder wenigstens kirchlicher geworden. Und ein Jesnit erzählte mir folgendes. Ju ein amerikanisches Kolleg seines Ordens bringt ein Herr seinen Sohn und sagt ihm zum Abschied: ,,Du wirst nun den Herren Patres in allen Stücken gehorchen und ihnen alles glauben, was sie sagen; nnr in einem Stück darfst du ihnen nicht glauben; einen andern Gott hast du nicht als den da," wobei er ihm einen Dollar vorhielt.
Kirche, Staat, Sittlichkeit oder Privatmoral (mit der letzten meinen wir nicht ein Abstraktum, sondern die Gesamtheit aller Personen, die ein Gewissen haben) sind drei von einander nnabhängige, aber vielfach und innig mit einander verflochtene Mächte. Ein hübsches Wort Goethes wollen wir doch noch an-