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Reiche Wider Willen dein Armen. „Die Reichen wählen mir das Kostbarste vom Haufen und lassen das Übrige den Armen. Obgleich der einzige Zweck, zu dem sie Tausende vvn arme» Leuten beschäftigen, die Befriedigung ihrer eignen nichtigen und unersättlichen Begierden ist, können sie doch nicht viel mehr verzehre» als die Armen und teilen mit diesen die Erzeugnisse ihrer U»ter»ehmu»ge». Von unsichtbarer Hand geleitet, nehme» sie fast dieselbe Verteilung der Güter vor, die bei absichtlicher Verteilung durch einen gerechte» Ordner herauskommen würde."
Wenn nun Smith nnzähligemale behauptet, die gewaltthätigeu Eingriffe der vvn mächtigen Klassen in deren Interesse geleiteten Regierungen hätten die schöne Harmonie zwischen dem allgemeine» und dem Svuderinteresse vielfach zerstört — das ganze dritte und vierte Buch seines berühmten Werkes sind dem geschichtlichen Nachweise dieser Behauptung gewidmet so ist das offenbar ein Widerspruch gegen den Grundgedanken des Systems. Man müßte denn annehmen, der Weltmechauikus sei ein Psnscher; er habe die allgemeine Jnteresscnharmvnie zwar stiften wollen, es sei ihm aber nicht gelungen, und seine Harmonie sei — gar keine Harmonie. Doch es wäre kleinlich, darauf besondres Gewicht zu lege»; denn welchem Weisen wäre es je gelungen oder könnte es jemals gelingen, das Weltgeheimnis widersprnchslos zn erklären?
Die naturalistische Moral der Engländer war an sich ein notwendiger und wohlthätiger Rückschlag gegeu die Verirruugeu der kirchlichen Moral. DaS Erbsündendvgma hatte den Gemütern ein solches Mißtrauen gegen die Natur eingeflößt, daß sie in jeder schönen Gestalt einen verkleideten Teufel und in jedem Sinnengenuß einen Fallstrick SatanS witterten. Das hatte dem Teile der christlichem Völker, der deu Glauben ernsthaft nahm, die Richtung auf ein kulturfeindliches Asketen- nnd Büßerleben gegeben, die Massen aber, die im Zeitalter der Orthodoxie nicht mehr wie vorher in der Renaissance den Glauben z» verspotten wagten, mit UnWahrhaftigkeit vergiftet. Die oKriLtiim pmoti«? rimclg «ÄS)- der englischen Hvchkirche nnd der mit dem Weltgeist komprvmit- tirenden Calvinisten lief auf dasselbe hinaus wie die jesuitische Prvbabilitäts- lehre, und ernste Geister wie Smith konnten kaum umhin, die ganze christliche Moral sür Heuchelei z» halten. An die Wiederherstellnng der echten Moral des Evangeliums aber konnte man am wenigsten in England und Schottland denke». Die Bevorzugung nnd Hntschelung der Armen, Elenden nnd Schwachen hat in unsern nordischen Knlturstaaten, die starke nnd schueidige Geister brauche», ihre Gefahren, nnd Gleichgiltigkeit gegen die irdische» Güter ist hier einfach unmöglich. Dazu hatte der Fanatismus überall die furchtbarsten Verheerungen angerichtet. Ausbleiben kann er nirgends, wo sich die Leiter des Volkes einbilden, den Ratschluß Gottes ergründet zu haben, denn sie fühlen sich dann natürlicherweise verpflichtet, diesen Ratschluß zu erfüllen nnd