562 !7eue versuche zur Lösung der Ardeiterwcchnmigsfrage
die bestimmt sind, allmählich in das Eigentum ihrer Bewohner überzugehn, hie und da gute Fortschritte gemacht. Insbesondre ist in den Städten Hamburg, Kiel, Anchen-Vnrtscheid, Berlin u, s. w. manches lobenswerte geschehen. In Berlin wirkt einerseits der Umstand fördernd, das; seit dem 1. Oktober v. I, die Persvuentarife für den Eisenbahnverkehr der Vororte bedeutend billiger geworden sind, andrerseits scheint man den Bestrebungen, die den Arbeiterfamilien zn behaglichen, eignen Wohnstätten verhelfen wollen, in den Kreisen der wohlhabenden Klassen neuerdings überhaupt mehr Verständnis als früher entgegenzubringen. Vielleicht ist das ans die Anregnng zurückzuführen, die das Kaiserpaar dadurch gegeben hat, daß es vor etwa vier Monaten der Berliner Bangesellschaft „Eigenhaus" den Ban einiger Arbeiterwohnhäuser übertrug und sich vorbehielt, sie mit Arbeiterfamilien zn besetzen. Ein Schreibe» aus dem kaiserlichen Zivilkabinett spricht die Hoffnung aus, daß die wohlhabenden Klassen dem Beispiele des Monarchen folgen und würdigen, mittellosen Arbeitern in gleicher Weise ein Heim schaffen werde». Mit andern Worten: es soll versucht werde», eine Lösung der Wohnungsfrage durch Handlungen der Wohlthätigkeit anzubahnen.
Man kann gern zugeben, daß i» besonder» Fälle» auch diese Form der Fürsorge berechtigt ist, allein man wird nicht übersehe» dürfen, daß die Wohnungsfrage mir dann gelöst werden wird, wenn sehr große Mittel, weit größere, als menschenfreundliche Bestrebungen Einzelner aufzubringen vermögen, bereit gestellt werden; man wird zu beachten haben, daß die Schenkung oder Nicßbrauchsüberlassung von Einfamilienhäuseru an einzelne Arbeiter keine Bürgschaft bietet, daß diese Häuser ihrem Zweck erhalten bleiben, nnd endlich wird man berücksichtigen müssen, daß die Wohlthätigkeit, die durch Schenke» geübt wird, niemals große soziale Schäden heilen kann, vielmehr die Energie und das Selbstbewußtsein der Hilfsbedürftigen schädigt und hcrab- drückt. Halte ich es hiernach für ausgeschlossen, daß die Schenkung von Einfamilienhäusern an Arbeitende die Wohnungsfrage ihrer Lösung wesentlich näher bringen werde, so verkenne ich doch keineswegs die Bedeutung der auf Wohlthätigkeit beruhenden Bestrebungen einzelner Menschenfreunde. Freilich mochte ich diesen Bestrebungen eine andre Richtnng geben, entweder eine Richtung, die durch die bekannte großartige Stiftung Georg Peabodhs in London, durch eine Stiftung des Geh. Bergrnts Prof. Dr. Gerhard vom Rat in Bonn und dnrch eine Schöpfung des Vereins für Erbauung billiger Wohnungen in Leipzig-Lindenan") vorgezeichuet ist, oder eine Richtung, die ihre Aufgabe in einer Förderung der einerseits zwar auf rein gemeinnützigem Boden, andrerseits aber doch ausschließlich auf dem Boden der Selbsthilfe stehende»
*) Bei diesen Schöpfungen wird zu Gunsten der Eutwicklung des Unternehmens ans Kcipitalverziusung vcrzichiel, die Neltveiunahiue wird zur flortschunst der Bauten verwendet.