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haarige Herr Weihkvvf hatte uns mit wahrhaft väterlicher Freundlichkeit empfangen, hatte jedem einzelnen Kinde auf den Kopf geklopft und gesagt, er freue sich unsre Bekanntschaft zu machen, wir sähen alle so wohlerzogen aus. Auf manche Kinder unsrer, für großstädtische Begriffe sehr gemischten Gesellschaft paßte zwar diese Bezeichnung durchaus nicht; sie verfehlte aber doch nicht ihren Eindruck, und selbst die unartigste,: Jungen wollten nicht für schlecht erzogen gelten. Madame Weihkopf verfolgte dieselbe pädagogische Taktik. Sie war sehr dick, so dick, daß wir ihre unendliche Beweglichkeit kaum begreifeu tonnten, wenn sie uns mit hochgeschürzten Röcken ihre Entrechats vortanzte, aber sie war stets freundlich und hilfreich. Sie lachte selbst über die ungeschicktesten Kinderfüße nicht nnd schalt auch nicht, wenn alle ihre Mühe umsonst schien. Gutmütig sprang sie immer wieder im Saale herum, um jede Bewegung zu zeigeu: hier band sie einem Mädchen die Haare fest, die bei der Bewegung losgegcmgen waren; dort knüpfte sie einen: Jungen das Halstuch ^ kurz, sie hielt auf Ordnung nicht allein an den Füßen, sondern an der ganzen Erscheinung. Und ihre Art und Weise machte selbst die schweren fünf Positionen leichter und erhöhte den Mut, sich langsam und schwerfällig im Kreise zu drehen. Nein, so schlimm, wie ich gedacht hatte, war es doch nicht; sah ich auch mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit auf Madames dicke und so überaus gelenkige Beine, so mühte ich mich doch im Schweiße meines Angesichts, eine halbwegs anständige Polka zu stände zu bringe».
Füßchen auswärts, tralala! sang Herr Weihkopf, während er sich mit seiner Violine im Kreise drehte nnd überallhin seine Blicke streifen ließ.
Paris ist nicht an einem Tage erbant worden! tröstete Madame unterdessen Jürgen, der widerspenstig mit einem Mädchen tanzte, das er nicht leiden konnte.
Sie meinen wohl Rom? fragte mein Bruder, dessen trübseliges Gesicht sich eiu wenig bei dem Gedanken ausheiterte, doch etwas besser zu wissen, als die Tcmzmeisterin.
Sie lachte gutmütig. Rom oder Paris, sagte sie, das sei einerlei; es hätte gewiß mit beiden Städten gleich lange gedauert, bis sie groß und berühmt geworden wären. In Paris hätte sie tanzen gelernt, aber in Rom solle gar kein ordeutliches Ballet sein. Dann sprang sie unermüdet weiter.
Wir mußten viel, erschrecklich viel lernen. Nicht allein uns langsam und schneller im Kreise zu drehen, sondern auch das Hereinkommen, das Fortgehen, ja selbst das Sitzen mußte gelernt werden. Wer nicht vorzog, mit eingedrückten Knieen, den rechten Fuß in der ersten Position, die Arme anmutig zusammengelegt, an der Wand zu stehen, der mußte kerzengerade ans einem Stuhle sitzen, die linke Hand aufs linke Knie und die rechte aufs Herz legen. Dazu sollten wir ungezwungen freundlich aussehen und uns mit einander unterhalten. Die Unterhaltung litt allerdings häufig au grabesstillen Pausen, und nur die