Goethes ^»traßburger lyrische Gedichte
von Heinrich Diintzer
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ie aus einem unversieglichcn Borne fließen uns immer neue Quellen zur klarern Einsicht in Gvethes Leben, Dichte» und Sinnen, deren zweckmäßige Verwendung eine um so ernstere Pslicht aller Kundigen ist, als leider so manches uns länger als billig vorenthalten worden ist, ja noch immer vorenthalten wird. Über die Leipziger Jugendzeit haben wir vor einigen Jahren Bedeutendes dnrch Gvethes Briefe an seine Schwester und an Behrisch erfahren, die auch die auf wenigen schwanken Erinnerungen und oberflächlicher Benutzung der Briefe an Cvrnelieu beruhende Darstellung in „Wahrheit und Dichtung" glücklich berichtigen und ergänzen. Schlimmer ist es um das Erwachen des Dichters in Straßbnrg bestellt, da ans dieser Zeit verhältnismäßig wenige Briefe von Goethe selbst vorliegen und auch seine eigne Lebeusdarstellung, wie jetzt die freilich sehr lückenhaft erhaltneu Entwürfe und frühern Fassungen beweisen, mit geringen Ausnahmen sich als unzuverlässig und vielfach novellistisch ausgeführt ergiebt. Trotzdem hat sich überkluge Spürsncht einer Hnuptquelle dadurch beraubt, daß sie einen großen Teil von Gvethes gleichzeitigen Gedichten ihm abgesprochen, ja behauptet hat, manche von ihnen gehörten seinem Nebenbuhler an, dem so dichterisch begabten wie sittlich haltlosen und verstörten Lievländer Lenz; ja das Gvethe-Jahrbuch hat in einem Aufsatze vvn Bielschowsth (XII, 211—227) die Entdeckung gebracht, die Handschriften, aus denen Kruse 1835 Gvethes Gedichte abgeschrieben hat, seien teilweise von Lenz. Die dafür beigebrachten äußern Gründe habe ich schon in der Münchner „Allgemeinen Zeitung" (1891, Beilage Nr. 252) zurückgewiesen. Wenden wir uns nun zu den innern und verfolgen wir unbefangen Gvethes lyrische Dichtung während des Straßburger Aufenthalts. Es ist das um so nötiger, als selbst die urkundliche Weimarer Ausgabe im vierten Bande, zu dem die kritische» Begründungen erst folgen sollen, den unschätzbaren, von Kruse in Goethes, zum geringsten Teil in Friede- rikeus Handschrift gesehenen Gedichten das oormilluin g,dcmncli erteilt, sie unter die „Goethe zugeschriebenen Gedichte zweifelhaften Ursprungs" verwiesen hat!