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Die Pflicht zu reden und das Recht zu schweigen
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Dem Rechtsbewnßtsein des Volkes entspricht dieses Wahlrecht nicht, und darum darf auch aus dem K 136 der Strafprozeßordnung nicht das Recht des Verteidigers gefolgert werden, den Angeklagten zur Verweigerung der Aussage zu bestimmen. Ebenso verkehrt wäre es aber, in einen: dahin abzielenden Rate des Verteidigers stets eine Pflichtverletzung zu erblicken; ob eine solche vor­liegt, das hängt, wir wiederholen es, von der Lage des einzelnen Falles ab, und die Entscheidung im einzelnen Falle von der richtigen Auffassung der Rechte und Pflichten des Verteidigers im allgemeinen.

Was ist die Aufgabe des Verteidigers? Er soll dafür thätig sein, daß keiu Unschuldiger gestraft und daß gegen den Schuldigen keine strengere, als die der Schuld entsprechende Strafe verhängt werde; seine Thätigkeit soll die Ergänzung der Thätigkeit des öffentlichen Anklägers, des Staatsanwalts, sein, dessen Aufgabe es ist, dafür zu wirken, daß kein Schuldiger der Strafe entgehe und daß die Strafe des Schuldigen nicht unter dem Maße seiner Schuld bleibe. Darauf wenigstens beschränkt eine verständige, gesunde Strafrechts­pflege die Aufgabe des einen und des andern. Eine unverständige Rechts­pflege freilich, die Recht und Moral nicht zu scheiden weiß, bestimmt die Auf­gabe anders; sie verlaugt vom Staatsanwalt auch die Fürsorge dafür, daß kein Unschuldiger gestraft werde, und verpflichtet den Verteidiger, zur Bestra­fung des Schuldigen Beihilfe zu leisten. Nicht der zweiten, wohl aber der ersten Verkehrtheit hat sich in ihrem den Franzosen nachgemachten Bestreben, den Staatsanwalt über den Richter, den Richter unter die Aufsicht des Staats- auwalts zu stellen,") die deutsche Strafprozeßordnung schuldig gemacht. Daß der Staatsanwalt nicht die Verurteilung eines (wie er weiß) Unschuldigen, der Verteidiger nicht die Freisprechung eines (wie er weiß) Schuldigen betreiben soll, das ist selbstverständlich. Der eine wie der andre würde durch ein Zuwider­handeln dem Strafrichter verfallen. Selbstverständliches aber soll das Gesetz nicht sagen. Etwas anderes jedoch als diese negative Verpflichtung ist die positive: etwas zu thun, was im geraden Gegensatz zur berufsmäßigen Thätig­keit steht.

An den Verteidiger stellt, wie gesagt, das Gesetz diese Zumutung nicht, in: Gegenteil, er macht sich eines Kriminalvergehens schuldig, wenn er ein vom Angeklagten ihm abgelegtes Geständnis gegen dessen Wissen kundgiebt. Wie er sich aber positiv in einem solchen Falle zu verhalteil habe oder in dem Falle, wo ihm ohne Geständnis die Schuld des Angeklagten zweifellos oder doch wahrscheinlich ist, darüber enthält unser Recht keine ausdrückliche Bestimmung. Die Antwort ist also aus den allgemeinen Grundsätzen über die Rechtsstellung des Verteidigers zu entnehmen. Dabei ist aber der Unterschied zwischen dem

-) Vgl. darüber die Schrift: Recht und Willkür im deutschen Strafprozeß (Heft 41/22 der Deutschen Zeit- und Streitfragen Jahrgang 1888.)