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Dürer sv gering angeschlagen hat: nur „Einzelheiten der Linienführung" habe der jüngere Künstler dem ältern abgelernt. Aber wie hüusig mag Dürer schon als Knabe die weit verbreiteten Blätter des berühmten Kupferstechers betrachtet und nachgezeichnet haben, wie er ja überhaupt iu seiner Jugend die Handzeichnungen oder Kupferstiche älterer rheinischer Meister nachweislich kopirte. Ist es doch auch ganz unwahrscheinlich, daß Christoph Scheurl und Neudörffer, die ja beide Dürer persönlich kannten, die Nachricht aus der Luft gegriffen haben sollten, der alte Dürer habe den Sohn eigentlich zu Schon- gauer in die Lehre geben wollen, sich aber dann (wahrscheinlich aus Bequemlichkeitsgründen) für den heimischen Meister entschieden. Und sollte nicht die Reise nach Colmar, die Dürer während seiner Wanderschaft unternahm, thatsächlich den Zweck gehabt haben, das Versäumte nachzuholen, den berühmtesten Kupferstecher seiner Zeit wenigstens nachträglich kennen zu lernen? Dabei will ich noch ganz absehen von zwei angeblichen Jugendwerkeu Dürers, die, wenn sie wirklich von ihm stammten, geradezu eine Schongauersche Epoche in seinem Leben nachweisen würden. Ich meine die Madonna mit der Nelke im Kölner Museum und den Kupferstich mit der Doppeldarstellung Adams und Evas. Die Madonna freilich erwähnt Springer nicht, wahrscheinlich weil er ihre Zurückführung auf Dürer (ebenso wie die dreier andern Bilder, die man neuerdings auf Dürer getauft hat) nicht billigte. Doch an dein Kupferstich, den er selbst kurz zuvor zum erstenmal als Jugendarbeit Dürers angesprochen hatte, hält er auch in der Biographie fest. Kupferstichkenner wie Lehrs wollen ihn übrigens einem niederrheinischen Monvgrammisten ?N zuschreiben, der „in hohem Grade abhängig von Schongauer" sei. Aber selbst wenn man von diesen zweifelhaften Jugendwerken absieht, bleibt die Thatsache bestehen, daß Dürer in seiner Jugend fast mehr von Schongauer als von Wolgemut angeregt worden ist. Der Einfluß des Colmarer Meisters ist sowohl in den Blättern der Apokalypse und der großen Passion als auch in einzelnen spätern Kompositionen wie der Flucht nach Ägypten deutlich zu erkennen. Vor allen Dingen hat Dürer in der Kupferstichtechnik — was ja auch Springer zugiebt — an seinen großen Vorgänger angeknüpft. Was übrigens Dürers Kupferstichtechnik betrifft, so will ich nebenbei erwähnen, daß Springer im Anschluß an Thausing die Behauptung aufstellt, Dürer habe bei den Kupferstichen seiner Blütezeit, z. B. der „Melancholie" und dem „Hiervnymus im Gehüus", ein gemischtes Verfahren von Ätzung und Grabstichelarbeit augewendet. Ich habe mich nach wiederholter Vergleichnng der in der Göttinger Kupferstichsammlung befindlichen Abdrücke dieser beiden Platten nicht von der Nichtigkeit dieser Ansicht überzeugen können. Im Gegenteil scheint mir der gleichmäßig dünne Zug der Linien, den Dürer hier angewandt hat, und auf dem ja vor allen Dingen der matte silbergrane Ton dieser Blätter beruht, eher auf eine gesteigerte Verwendung der kalten Nadel als auf eine