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Litteratur
Zwei andre dies Jahr erschienene Hefte der Neudrucke sichren uns in die Anfange der Reformationszeit zurück. Als Nummer 92 hat G. Kawerau zwei älteste Katechismen der lutherischen Reformation (von P. Schultz und Chr. Hegendorf) neu veröffentlicht; Heft 93 und 94 enthält Luthers Schrift Von deu guten Werken aus dem Jahre 1520, die N. Müller nach der in Dauzig befindlichen, erst jüngst von ihm selbst entdeckten Originalhandschrift herausgegeben hat. Diese authentische Urkunde von Luthers Sprache Vor der Bibelübersetzung — die einzige aus so früher Zeit außer seiueu Briefen — zeigt, wie willkürlich Setzer und Korrektoren nicht nur mit Luthers Orthographie und Interpunktion, sondern auch iu seinem Wortschatz und seinem Satzbau gewirtschaftet haben. Die Vermutung liegt nahe, daß auch bei andern Werken des Reformators mit ähnlicher Willkür umgesprungen worden ist.
Schiller als Philosoph. Von Knno Fischer. Zweite, ncubearbeitete und vermehrte Auflage. Zweites Buch. Die akademische Zeit, 1789—1796. Heidelberg, Carl Winters
Universittttsbuchhandlung, 1892
Das Wort Ideal ist heute in weiten Kreisen verpönt. Wer vor einer gewissen Zuhörerschaft die körperliche Schönheit für den Abglanz der heitern Regionen erklären wollte, wo die reinen Formen wohnen, und für eine Einladung, sich zn ihnen emporzuschwingen, der würde gründlich ausgelacht werden als ein Tropf, der die größte aller geistigen Umwälzungen, den wichtigsten aller Fortschritte verschlafe» hätte. Für schön gilt nach der nenen Wissenschaft einem jeden lebendigen Wesen, wns der Erhaltung seiner Gattung förderlich ist; dem Aaskäfer sein Stück Aas, dem Heuschreck seine Heuschrcckiu, und wer der Schönheit einer Abendlandschaft oder eines Menschenkindes eine höhere Bedeutung beimessen will als jenen beiden Schönheiten, der ist ein Dnnnnkopf oder ein Phantast oder ein durchs klassische Gymnasium verdorbener Schnlfnchs. Es giebt aber doch noch solche Käuze, und wir gehören zu ihnen. Darum begrüßen wir Kuno Fischers Schiller- studieu mit aufrichtiger Freude. Im allgemeinen sähen wir es ja lieber, wenn das Volk und die Jugend die Klassiker selbst fleißiger läse, und finden die meisten Schriften über die Klassiker ziemlich überflüssig, aber Werke wie das vorliegende stiften doch wirklichen Nutzen. Indem Knno Fischer die Entwicklung der philosophischen Gedanken unsers großen Dichters aus uicht jedermann Angänglichen Quellen darstellt, erleichtert und vertieft er ihr Verständnis. Das zweite Buch beginnt mit dem ersten Einflüsse Kants und schließt mit einer Erläuterung des großen philosophischen Lehrgedichts „Das Ideal und das Leben." Den Hauptinhalt bildet die Darstellung des Kampfes zwischen der moralischen und der ästhetischen Weltansicht in Schillers Seele. Schiller rang unermüdlich nach einer Versöhnung beider, aber sie ist ihm nur unvollkommen gelnugeu. Die Vergleichuug seiner Aussagen darüber, schreibt Fischer S. 1l>7, führt zu kciuem einfachen Resultat, sondern zn einer Streitfrage, die in antinvmische Sätze zerfällt. Der Abschnitt über Schillers Streit mit Bürger, über seine entschiedn« Abwendung von einer Richtung, die hente realistisch oder naturalistisch genannt wird, worin er aber nur eine Entweihnng der Kunst sah, ist unsern hentigen Dichtern und Kritikern besonders warm zu empfehlen. Schiller schrieb im Jahre 1791 sein hartes Urteil über Bürger vou dem Standpunkte aus, den er soeben in dem Gedichte „Die Künstler" mit der Mahnung kenntlich gemacht hatte! „Der Menschheit Würde ist in eure Haud gegeben, bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird sie sich heben!"
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Cnrl Marqunrt in Leipzig