Maßgebliches und Unmaßgeblichem
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sannuenhängende hochmütige Geringschätzung, mit der der Hcindweber auf Arbeiter in andern Erwerbszweigen, insbesondre auf ländliche Arbeiter, herabzusehen sich gewohnt habe." Spreche,: wir deutsch! Der Widerstand des Handwebers gegen die Überführung in andre Erwerbszweige ist die verzweifelte Gegenwehr des konservativen freien Mauues gegen Proletarisirnng uud Versklavung. Der schlesische Handweber hungert, wie schon sein Vater und sein Großvater gehungert haben, »nd sieht seine Kinder leiblich verkümmern, aber er ist noch ein Mensch und ein freier Manu. Er hat seiu Häuschen, worin er Herr ist, er führt ein geordnetes Familieuleben, er ist bereit, Tag und Nacht zu arbeiten, wenn er Arbeit bekommt, aber er hat jederzeit das Bewußtsein, daß er anfangen und aufhöre», daß er Pausen machen kann, wcmu es ihm beliebt, und stirbt er Hungers, so kommt er nicht als Strolch auf der Landstraße um, sondern er stirbt als anständiger Mann in seinem Hause, und die Gemeinde giebt ihm das Grabgeleite. Schickt er seinen Sohn in Dienst oder in die Fabrik, so wird dieser ja, schon weil er in dem besondern Schutze der Regierung steht, satt zu essen bekommen und gut behandelt werden. Allein wenn er dereinst erwachsen ist, dann wird er ein „Arbeiter" sein, wie alle andern „Arbeiter." Er wird nicht nach seinem, sondern nach dem Willen seines Brotherrn arbeiten, er wird im Vaterlands herumgeschlendert werdeu, er wird weder ein Haus noch ein geordnetes Familienleben haben, denn seiu Weib, wenu er eins hat, und seine Kinder werden ebenfalls auf Tagearbeit und in die Fabrik gehn; verliert er in einer ungünstigen Konjunktur die Arbeit, so wird er auf die Straße geworfen, früher oder später verfällt er als Vagabund der Polizei und dem Strafrichter, uud am Ziele seiner Lebensbahn winkt ihm der Tod auf der Landstraße oder im Spital oder im Zuchthause. Das weiß der Haudwcber, uud darum sieht er „hochmütig" auf die „Arbeiter in andern Erwerbszweigen" herab. Deun er arbeitet zwar, aber „Arbeiter" im modernen technischen Sinne ist er nicht. Und darum mag er seinen Sohn nicht zu einem „Arbeiter" werden lassen, dessen Lage sich von der nltrömischen sm-viws nur dadurch unterscheidet, daß dem ssrvus sein Lebensunterhalt gesichert war, dem modernen Arbeiter aber nicht, uud daß der ssrvns nur dann ins Oi'xa.sw1uirr gesperrt wurde, weuu er etwas verbrochen hatte oder nicht arbeiten wollte, der „Arbeiter" aber auch dann, wenn er zwar arbeiten will, aber weder einen Herrn findet, der ihm Arbeit gäbe, noch ohne Geld — woher sollte er welches nehmen? — eine Wohnung. Und daran ändert auch das Politische Wahlrecht nichts, das man ihm geschenkt hat, und die Altersrente, die er meist nicht erlebt, uud daß ihn vornehme Herrn „Herr" anreden und bei der Reichstagswahl ein Kompliment vor ihm machen. Und mag man ihm nicht bloß den Marschallsstab in den Tornister, sondern auch noch das Ministerportefeuille in die Wiege legen, das ändert alles nichts an der gezeichneten Lage. Einen Vorschlag in wirklich humanem und konservativem, staatserhaltendem Sinne machte der Graf Pückler-Burghauß: die Handweber mit Acker nuszustatteu. Der Regierungspräsident, heißt es in dem Bericht, „sicherte eine eingehende Erwägnug dieser bedeutsamen Frage zu."
Freiland. In Nr. 1 hatten wir eine Broschüre von Hertzka besprochen. Einer uusrer Leser, ein preußischer Landrichter, ist mit unsrer Auffassung in einem Punkte nicht einverstanden. In seiner Zuschrift heißt es: „Während deu bisherigen Utopien regelmäßig entgegengehalten wurde, ihre Verfasser hätten die geistigen Fähigkeiten und sittlichen Grundsätze im Widerspruch mit der Wirklichkeit als zu hoch vorausgesetzt, richtet sich der gegeu Hertzka erhobene Vorwurf umgekehrt da-