Beitrag 
Seltsame Fortschritte
Seite
55
Einzelbild herunterladen
 

Seltsame Fortschritte

55

worden sein wird und thatsächlich durch die Vertreibung der kaiserlichen Truppen beantwortet wurde.

War alfo das Verfahre» völlig gleich, als die Niederländer vom Prote­stantismus nnd als sie zum Staatskatholizismus bekehrt werden solltet!, so ist dabei doch ein Unterschied sehr bemerkenswert. Der strenggläubige Konig von Spanien ist berechtigt, sich als unmittelbares Werkzeug der Vorsehung zur Aus­rottung der Ketzerei zn betrachten und sich zu diesem Zwecke mit einer Weis­heit ausgerüstet zu glaubeu, ^die Verstand und Urteil seiner Unterthanen weit überrage; das Widerstreben gegen seine Maßregeln durste ihm gleichbedeutend sein mit Auflehnung gegen die Gebote Gottes. Der Nationalist aus dem Kniserthrone dagegen wäre durch diese Theorie in einen unlösbaren Zwiespalt mit sich selbst geraten, und es bleibt für sein Handeln nnr eine maßlose Über­schätzung seiner persönlichen Einsicht wie feiner Macht als Erklärnngsgrnnd übrig. Und in der That warf ihm fchon seine Mutter vor, daß er, der jugend­liche Mitregent, dessen Lebensauschauung die Frucht ungeregelter Lektüre war, die Erfahrnugen der Kaiserin, die ein Vierteljahrhnndert lang unter den schwie­rigsten Verhältnissen regiert hatte, und ihrer erprobten Räte mit Geringschätzung behandle. Nur zu sehr der Sohn seines Jahrhunderts, hielt er sich für be­rufen, eine neue Orduung in allem und jedem einzuführen, nnd zwar nach einer Schablone für alle die verschiedenen Nationalitäten und Religionsgenossen- schaften seines Reiches.' Historische Rechte nnd Nechtsgewohnheiten, Über­zeugungen und Sitten galten bei ihm nichts; was nicht mit seinen Überzen- gungen übereinstimmte, war ihn: Aberglaube, Vorurteil, träges Beharren bei dem Hergebrachten. Gezwnngen werden sollten die Völker zur Glückseligkeit nach seiner Manier, und daß die treuesten von ihnen, Tiroler, Ungarn, Belgier, durch feine Ordonnanzen zur Empörung getrieben wurden, kränkte ihn, aber nur, weil er sich verkannt wähnte. Todesmatt zog er die überstürzten Reformgesetze zurück, doch daß er den Irrtum in seinem System eingesehen habe, wird nicht berichtet. Wahrlich, das vielbernfue l^tat, e'sst Noi! hatte auch an diesem liberalen Herrscher einen Bekenner.

Daß er wirklich immer das Beste wollte und aufopferungsfähig war, ist uicht zu lengneu, uud die Aufhebung der Leibeigenschaft wird ihm immerdar zum Ruhme gereichen. Aber was seine Bewunderer am höchsten preisen, sein revolutionäres Vorgehen in kirchlichen Angelegenheiten/ hat genau genommen mehr Unheil angerichtet, als Segen gebracht. DerSchätzer der Menschen" miß­achtete das teuerste Recht des Menschen, die Gewissensfreiheit. An die Stelle des Papstes setzte er sich selbst. Anch den Protestanten gegenüber brachte er es nnr zurToleranz," sie bliebenAkatholiken," Menschen, die geduldet wurden, obgleich sie, vom Katholizismus abgefallen waren; Staatsreligion blieb der Katholizismus, wie er ihn wollte. Die Rücksichtslosigkeit gegen die religiösen Gefühle des größten Teiles seiner Unterthanen, die Übertreibung und absichtliche