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Geschichtsphilosophische Gedanken. 7
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Geschichtsphilosophische Gedanken

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ie Parteien sind wahrlich nicht das wichtigste Element des Völker­lebens, aber sie machen den meisten Lärm in der Welt, sogar noch mehr als die Kriege. War doch bis vor knrzem die Welt­geschichte wesentlich nur eine Geschichte der .Könige, der Kriege und der Parteikämpfe, bis man endlich in unsern Tagen ein­gesehen hat, daß die Kulturgeschichte und die Wirtschaftsgeschichte eigentlich wichtiger sind. Können wir nun auch die Parteikämpfe weder für das Wichtigste uvch für das Schönste halten, so dürfen wir nns doch auch nicht dnrch den Widerwillen einer mehr beschaulichen Natnr verleiten lassen, sie für über­flüssig vder gar für ein Übel zu erklären. Nls den einzigen Zweck aller Veränderungen habe» Nur gefunden, daß durch sie den Einzelnen immer neue Gelegenheit dargeboten werde, sich zn entfalten und in allseitiger Übung ihrer Kräfte zu vollenden. Sind auch die Idyllen des patriarchalischen Hordenlebens und der einsamen Ansiedlerwirtschaft geeigneter, die Einfalt und Unschuld der Sitten und ein stilles bescheidnes Glück zn sichern, so gelangt darin doch nur ein geringer Teil der dein Menschengeiste verliehenen Gaben zur Bethätigung. Daher können ihm die Leiden und Kämpfe der höhern Kultur, die sich in einer dicht zusammengedrängten nnd durch das Gedränge znr Herstellung bürgerlicher Ordnungen genötigten Volksmasse entwickelt, nicht erspart bleiben. Aus diesem Gedränge entspringen die neuen großen Ideen des Gemeinwohls, der Volkswirtschaft, der Staatsordnungen, und aus diesen wieder die mannich- fachsten Pflichten und fruchtbarsteu Wechselbeziehuugeu. Ist mm aber einmal das öffentliche Leben in Gemeinde, Staat und Kirche gegeben, dann versteht sich die Parteibildung von selbst; denn da es ganz unmöglich ist, daß unter mehreren Tausend vder gar mehreren Millionen Menschen jeder einzelne mit jedem einzelnen verhandle, so bleibt nichts übrig, als daß sich die von gleich­artigen Ideen, Zielen vder Interessen bewegten in Gruppen vereinigen. Einer dieser Gruppe» muß sich jeder Privatmann anschließen, der nm öffentliche» Leben thätigen Anteil nehmen will, und die Regierung muß sie zu benutzen und zu leuken verstehen.

Grenzboten II 1891 70