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Die internationale Uunstausstellnng in Berlin
hinwegsetzen. Mit diesen Äußerungen eines auf den Urzustand menschlicher Bildung und Gesittung zurückgeführten Kunstgeistes ist die internationale Kunstausstellung in Berlin anscheinend nicht behelligt worden, oder die Mitglieder der Berliner Nufnahmekommission, die schon seit geraumer Zeit in dem Verdacht stehen, sich gegen alle naturalistischen Ausschreitungen eiskalt zu verhalten, haben kurzer Haud die Tempelschänder ans dein Tempel der Kunst hinausgejagt. Mau wird in der ganzen Ausstellung unter sechstausend Kunstwerken kaum eiu Dntzend finden, die durch impressionistische oder naturalistische Grimassen Auge und Sinn verletzten. Die Veranstalter der Ausstellung sind angenscheinlich von der Absicht geleitet worden, nur das Beste und Edelste aus dem künstlerischen Schaffen unsrer Zeit auszuwählen, und in einer solchen Harmonie hat das unvernünftige Stammeln blöder Naturalisten, die zn früh aus der Schule gelaufen sind, keinen Platz. Ohne sich ans ästhetische Auseinandersetzungen einzulassen, haben sich die Berliner Machthaber einfach auf den Mangel an Raum berufen, und das darüber von München aus erhobene Geschrei wird leiueu andern Eindruck machen, als frühere Proteste von Berliner uud Düsseldorfer Künstlern gegeu ihre schlechte Behandlung in München. Ein bischen Energie und Tyrannei, wenn sie nur etwas Gescheites zu staude bringt, thut in unsrer zuchtlosen, jede Autorität verhöhnendem Zeit nngemeiu wohl, mag auch dieser und jener über einen empfangenen Streich ein Jammergeschrei erheben. Wenn die Münchner ihren Glaspalast durchaus „naturalistisch" ausstaffireu wollen, muß auch deu Berlinern das Recht bleiben, den natura- listischeu Kuustverderberu die Thür zu weisen. Schwer genug haben wir ohnehin schon unter dieser sogenanuteu „Revolution der .Kunst" gelitten.
Die Fremden, die die deutsche Kunst erst durch diese Ausstellung kennen lernen oder sich darüber nach dem von der Ausstellung gebotenen Material ein Urteil bilden wollen, werden schwerlich zu einem für uns günstigen Urteil kommen. Sie werden sagen, daß die Berliner Künstler vortreffliche Organisatoren und Dekorateure seien, daß die Anordnung uud Ausschmückung der Ausstellung, die mit staunenswertem Geschick herbeigeführte Verbindung von Kunst und Natur, von Park und Gebäude, von lebenden Pflanzen, springenden Wassern und Gebilden von Menschenhand, von Ruhe uud Bewegung — alles zusanunengenommen — ein wohlgeluugenes Meisterwerk von unvergleichlicher Wirkung darstelle, daß es aber den von Berliner Künstlern ausgestellten Bildern — mit der Plastik ist es besser bestellt — an großem Wurf und au Kraft uud Schwung der Phantasie gebreche.
Diese — objektiv richtige — Beobachtung erklärt sich aber aus verschiednen Gründen, von denen wenigstens zwei eiu abfälliges Urteil wesentlich mildern. Die Berliner Künstler sind mit Absicht in den Hintergrund getreten, um den fremden Gästen alle Ehre» der Gastfrenndschaft zu erweisen. Sie haben ihnen die besten Räume überlassen lind auch insofern auf jeden Wetteifer verzichtet,