Der zukünftige Unterricht in der nenesten Geschichte
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einen Schulamtskandidaten prüfte, so hatte man immer den Eindruck, als vb der jnnge Mann bestimmt wäre, sofort die Stelle eines Staatsanwalts im alten Athen zu übernehmen. Dem? während er vermutlich uicht imstande gewesen wäre, auch nur die geringfügigste Angelegenheit mit seinem Amtsrichter ohne die Hilfe eines Nechtsanwalts zu verhandeln, wnßte er den athenischen Richtern jede Art vou Staats- und Privatklage mit überzeugender Kenntnis aller Rechtsgebrüuche vorzulegen. Waren die beiden Gelehrten, der alte durch viele Fragen, der junge durch seine wohleinstudierten Autworten, selbst über die -^«P-? 7r«xz«vQ^cov endlich zu herzlicher Übereinstimmung gelangt, so stand nichts im Wege, daß dem Kandidaten die umfasseudstei? Lehrbefähignugeu für das Gymnasium zugesprochen wurdeu.
Bei so weit verbreiteter Überzeugung von der heilkräftigen uud verstcmdes- stärkeudeu Wirkung eiuer Kenntnis der alten Verfassuugszustände war es nun kein Wuuder, daß man in den Prüfnngsverordnnngen für die neuere Geschichte ebenfalls das Verfassungswesen aufs stärkste zu betoucu cmsiug. Eben das Bewußtsein vou dem innigen Zusammenhang zwischen Staatsrecht und Geschichte verschärfte mit Recht die Bestimmungen über die Prüsung, nur versah man es in dem einen Punkte, daß mau eiueu Teil für das Ganze ansah und eine Nebensache zu eiuer Hauptsache machte. Mnu drückte sich außerdem mit Vorsicht und Ungeschick so aus, daß mau weder deutlich zu erkennen gab, in welchen Verfassungen der junge Historiker genauer unterrichtet sein sollte, noch auch die Zeiträume bezeichnete, für die das Verfassungsstudinm empfohlen wurde. Die Verordnung sprach daher ganz allgemein von der „Verfassung des Vaterlaudes" und überließ es dem eiusichtsvollen Examinator, ob damit die Verfassungsgeschichte von Reuß-Greiz, oder von Preußen, von Baiern, Hannover oder gar von ganz Deutschland geineint sei.
Auf alle Fälle berührte man mit der fatalen Verfassungsgeschichte ein Gebiet, worin sich unser Vaterland niemals besonders ausgezeichnet hat, mag man dabei auf die Gesamtheit oder auf die eiuzelneu Länder blicken. Das, was hier uud dort fehlt, ist die deutlich erkennbare Folgerichtigkeit der Entwicklung, die sich dem gelehrten Kenner nur dann einigermaßen offenbart, weuu er die Eiuzelheiteu mehr auf ihren allgemeinen staatsrechtlichen Gehalt hin untersucht, eine Arbeit, die aber ein sehr vorgeschrittenes Bewußtsein vom Staats- und Rechtsleben erfordern würde. Bleibt er beim Einzelneu stehen, so wird ihm das deutsche Verfassuugsrecht uichts als eiue Fülle vou Sprüngen, Wandlungen und Unterbrechungen ausweisen, deren historische Bewältigung wohl zu dem schwierigsten gehört, was man überhaupt erforschen kaun. Und dieser Umstand gilt von den einzelnen Staaten ebenso wie vom Reich, nnd was das schlimmste ist, er verdichtet sich mit jedem Jahrhundert bis in die neueste Zeit immer mehr und mehr. Wenn man je so unbescheiden gewesen wäre, einen unglücklichen Kandidaten nach dem immerwährenden Reichstag in