Contribution 
Drama und Publikum
Page
432
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

432

Drama und Publikum

sitzt tiefer. Einen wichtigen Punkt habe ich bereits oben gestreift, den Mangel eines ständigen Theaterpublikums. Einer der wenigen gesunden Gedanken, die der Begründung derFreien Bühne", und wie alle diese Bühnen derMo­dernen" heißen, zu Grunde liegen, ist der, eine«? dauernden Hörerkreis zu sammelu, mit dem der Dichter und, so weit sich das bisher bei der Mittellosigkeit dieser Unternehmungen erreichen ließ, cmch die Darsteller in geistige Be­ziehungen treten können. Beide müssen ihr Publikum kennen und es bis zu ciuem gewissen Grade bilden und erziehen können, wie umgekehrt diesen beiden gegenüber dasselbe Vonseiten des Publikums geschieht. Diese Beziehungen, bei denen allein eine Bühne gedeihen und blühen kann, sind fast völlig verloren gegangen, sie müssen wieder gesucht werden, und zwar durch Ein- richtuug eines festen Abonnements zu Preise», die auch der gebildete Mittel­stand erschwingen kann, oder doch durch daun und wann wiederkehrende Vvlks- vorstellungen zu ermäßigten Preisen. Die Mittel hierzu können zum Teil durch Entlassung der geldgierigen Virtuosen aufgebracht werden. Lafse man diese ohnehin meist jedes Heimatsgefühls baren Herren lind Damen getrost in das Land der Minkees und des Wutky fahren und das goldne Kalb anbeten. Wir verlieren wenig an ihnen. Halte man lieber auf ein passendes, wohl­geschultes Zusammenspiel. Auch dem Ausstattungsteufel, an dessen Hilfe fast nur die Drameu appelliren müsfen, die nicht wissen, wie sie sonst ihres Leibes Blöße decken sollen, brauchte viel weniger geopfert zu werden. Bisher hat er nur zu oft dazu gedient, die ohnehin abnehmende Phantasie nnd Jllusivns- fühigkeit der Zuschauer noch mehr zu schwächen. Das Publikum gleicht in dieser Beziehung einem Kinde, das immer mehr verlangt, wenn ihm einmal etwas geboten wird. Es muß erzogen werden. Wie? diese Frage zu erörtern dürfte einen sehr zeitgemäßen Gegenstand für die Beratungeil der Bühnen- genossenschaft bilden. Hat sich einmal eine Bühne einen Stamm von Be­suchern gesammelt, und wir halten das heute uoch für ebenso möglich wie vor Jahrzehnten, nnd zwar aus Einheimischen, die gegenüber den ewig kommenden und gehenden Fremden stets die erste Rolle spielen sollten, so kann ein Theaterleiter uud der Direktor vieles mit ihm beginnen, ihm Werke ernsten nnd heitern Schlages vorsetzen, die an einer stets neu zusanunengesetzten Menge wirkungslos vorübergehen. Wenn die dichterischen Talente auch nicht über Nacht aus dem Bodeu wachsen, sie werden, davon sind wir überzeugt, kommen, wenn ihnen eine Stätte bereitet ist. So manches Talent schlummert in: Ver- borgeuen und leidet unter dem sür den Dramatiker besonders schweren Lose, nicht zur Wirkung kommen zu können. Der Dramatiker muß seine Werke auf­geführt sehen können, nur aus der innigen Berührung mit dem Publikum, mit der Bühne kann er Lehre nnd Kraft zu neuen Thaten schöpfen. Manches Talent, das unter der Aussicht, nie von den Brettern herab sprechen zu können, leidet, wird auf die Bahnen des billigen Eiutagserfvlges oder auf schlimmere,