Zur Aussprache des Altgriechischeu M«)
Nachkömmling, dessen Uranfänge immerhin noch in vorchristliche Zeit fallen mögen. Sv lange nicht der Nachweis gebracht wird — und bei der Fülle der entgegenstehenden Zeugnisse ist er einfach nicht zu bringen —, daß sich allen sonstigen Erscheinungen im Sprachleben zum Trotz die Aussprache des Griechischen von Athens Blütezeit an bis zur Gegenwart nicht geändert hat, so lauge bleibt die angebliche Übereinstimmung der neugriechischen Aussprache mit der der klassischen Atheuer eine unbegründete Behauptung.
Was sür ein blöder Narr müßte auch Simonides, oder wie der Schriftbesserer sonst hieß, gewesen sein, wenn er bei seinen Reformen den vvrhandnen Zwiespalt zwischen Aussprache und Schrift nicht gehoben oder gemildert, sondern beibehalten nnd vergrößert hätte. Es wäre doch eine an Wahnsinn grenzende Verschwendung gewesen, dem einen Laute i sechs verschiedene teils einfache, teils zusammengesetzte Vezeichnungsweisen zu geben und aus reiner Üppigkeit neben dem bis dahin einzigen o-Zeichen noch ein neues zweites zu bilden und einzuführen! Und wie Hütte eine solche Vogelschenche von Schriftsystem Anklang finden nnd von Behörden amtlich eingeführt werden können?
Erasmus hat das Verdienst, in seinem Bären- und Löwendialog darauf hingewiesen zu haben, daß die Orthographie der Griechen in ihrer Blütezeit auf phonetischer Grundlage ruhte, daß jedes alphabetische Zeichen seine eigne Aussprache besaß, deren Ergründung Aufgabe der Forschung sei, wobei die Begleichung mit dem Lateinischen viel mehr fördere, als die mit dem Neugriechischen. Hierin ist dem großen Humanisten ebenso beizustimmen wie in den meisten Ergebnissen, zu denen seine Untersuchungen im einzelnen gelangten. Freilich müssen wir bekennen, daß das, was wir jetzt „erasmische Aussprache des Griechischen" nennen, nicht mehr durchaus mit den Forderungen des Erasmus übereinstimmt. Wenn wir z. B. den griechischen Diphthongen si, statt richtig wie das schwäbische ei vielmehr wie das geineindeutsche ei d. h. n-i (oder genauer ^- a-e) oder das statt wie e-u vielmehr wie o-i (oder ge- uauer v-e) aussprechen, so lassen wir uns aus Rücksicht auf die deutsche Aussprache Bequcmlichskeitssünden zu Schulden kommen, die kaum besser sind als die Sündeu der neugriechischen Aussprache. Hier müßte bei uns eine Reform der Aussprache des Griechischen einsetzen, die erasmischen Grundsätze müßten auch wirklich befolgt werden, natürlich unter Berücksichtigung aller Läuteruugen, die das unendlich gewachsene Quellenmnterial hier und da im einzelnen bewirkt hat. In dem 1'rimer ot' xlion<ztiv8 des englischen Sprachgelehrten I. Sweet ist neuerdings das Fazit aller Untersuchungen über die klassische Aussprache des Altgriechischeu gezogen worden; es lautet dahin, daß die Eigentümlichkeiten der neugriechischem Aussprache auch nicht in einem einzigen Punkte schon znr Zeit des Euklidischen Archontats bestanden haben. Diese Ergebnisse liefern uns Deutschen auch die tröstliche Gewißheit, daß selbst