Beitrag 
Doktrinarismus
Seite
69
Einzelbild herunterladen
 

«)!>

keit gegenüber der religiösen Weltanschauung beklagenswert, weil sich in ihr eine gewisse Gleichgiltigkeit gegen die große Frage des Zweckes im Menschen­leben ansspricht, eine Zerstreutheit des Geistes bekundet, die über das un­mittelbare Bedürfnis des Augenblicks nicht hinausdenkt. Teilweise mag jene Teilnahmlosigkeit auch darin begründet sein, daß man die überlieferten Lehren von der Aufgabe des Meuschen nicht mehr befriedigend findet; dann müßte aber wenigstens ein lebhaftes und allgemeines Bestreben zn bemerken sein, etwas Besseres an deren Stelle zn setzen oder gesetzt zu sehen; statt desseu werden aber nur zu oft die, die das Bedürfnis uach einer abgeschlossenen ^ebensauschauuug fühlen, als Idealisten und Phantasten verspottet, und wenn sie auch uach einer solchen allgemeinen Anschauung zu haudeln bemüht sind, "ls unpraktische Doktrinäre gebrandmarkt.

In der Politik hat man eine besondre Bezeichnung erfuuden für Leute, die ihr Verhalten durch die jeweilig an sie hcrautreteudeu äußern Umstände bestimmen lassen, weil sie ein allgemeines und grundsätzliches Programm nicht haben oder wenigstens nicht ernstlich an seine Durchführung denken: man nennt sie Opportunisten; in einem allgemeinem Sinn ist unsre ganze Zeit opportunistisch. In dem heftigen Kampfe entgegengesetzter grundsätzlicher An­schauungen scheint es vielen das Beste, gruudsatzlos zu sein, andern fehlt der ^üit, im Sinn ihrer Überzeugungen kräftig in den Lauf der Dinge einzugreifen, >n weiteu Kreisen wird der Glaube an praktische Ideale, die über die Aufgabe des Tages hiuausreicheu, und ihre Verfolgung als Doktrinarismus verspottet! Zwar lassen sich der herrschende Jndisfcrentismus nnd Opportunismus damit ^ut>chnldigen, daß wir in eiuer Übergnugszeit lebeu, wo neue Lebeusideale in Bildung begriffen sind, aber man sollte sie nicht beschönigen. In der Geschichte wird man sehen, daß alle machtvollen Persönlichkeiten, alle thatkräftigen und >>n Aufschwung begrisfeneu Volker von einein tiefgehenden Bewußtsein ihrer Aufgabe, einem Ideal erfüllt waren.

Bei alledcm soll nicht verkannt werden, daß auch iu dieser Richtung eiu Überschreiten der Grenzen, eine Einseitigkeit möglich ist. Die Dinge sind dem Menschlichen Willen nicht unbedingt Unterthan; nur mit Beachtung ihrer eignen '»nern Gesetzmäßigkeit vermögen wir sie deshalb unsern Absichten gemäß zn gestalte,,. Will der Baumeister ein haltbares Gebäude errichten, so muß er dein Gesetze der Schwere uud der Festigkeit der Stoffe rechnen; will der ^efahrer das Pvlarmecr durchkreuzen, so muß er die günstige Jahreszeit ab­warten u. s. w. Uud wenn sich auch das menschliche Kulturleben im Laufe Zeit mehr uud mehr von den Naturbedinguugen unabhängig gemacht hat, ist doch diese Unabhängigkeit keine unbedingte. Dies ist ja auch allgemein "»erkannt. Aber mau hat doch vielfach geglaubt, daß wenigstens die Be­dungen der Menschen zu einander in Staat und Gesellschaft sich zu jeder <Mt >n jeder beliebigen Weise müßten gestalten lassen, denn was sollte denn