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Die deutsche Einheit
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derartiges Vorkommnis im deutschen Reich als migeheuerlich zu bezeichne«, fast die gesamte Presse Baierns mit Wnt für diese köstliche Frucht bajuvarischer Rechtsprechung uud Gesetzgebung in die Schranken trat. Und zwar wurde, um dem merkwürdigen Lichte, das von diesem Ereignisse ausging, nicht gar zn nackt und bloß gegenüberzustehen, die einfache Wahrheit der Geschichte mit einem Nüstzeuge von Darlegungen, Gründen, Erwägungen nnd Erklärungen umschleiert, daß ein redliches Gemüt schließlich nicht anders konnte, als wieder einmal dem bösen Preußen unerlaubte Einmischung, Zänkerei nnd Stänkcrei vorzuwerfen.

Gegenwärtig regt die Feier des siebzigsten Geburtstages des Prinzregenten zu eigentümlichen Vergleichen an. Ich möchte hier um keinen Preis miß­verstanden werden. Jeder echte Deutsche wird dein nicht bloß in Vaiern hoch verehrten Fürsten, der in schlichter Treue seine Herrscherpflichten übt, alle Zeichen der Liebe, womit ihn seine Unterthanen beschenkten und erfreuten, von Herzen gönnen, wird jubelnd in die Hochrufe der Seinen eingestimmt haben. Aber keinem konnte auch der grelle Abstand entgehen zwischen diesen Tagen rauschender Begeisterung, die sich in überaus glänzendem Schmuck der Straßeu, in Fackel- und Huldigungszügeu, iu Festredeu, Festessen uud Fest- vorstellungen kundgab, den Tagen, die dem Landesherrn galten, und dem Geburtstage des deutschen Kaisers. Damals, am 27. Jannar, begnügte sich München mit einigen feierlichen Gastmählern hinter geschlossenen Thüren und vereinzelten Fahnen nn den Häuser» blau-weißeu, da die Neichsfarben der großen Mehrzahl überhaupt noch uubekauut oder unangenehm sind. Von irgend welcher Teilnahme der Bevölkerung war nichts zu merken. Eine hoch- angesehene litterarische Vereinigung, die noch dazu das Wortdeutsch" iu ihrem Namen führt, hatte für den Abend eine gesellige Zusammenkunft ver­anstaltet. Man Hütte meinen sollen, das Fest gelte dein Kaiser. Weit gefehlt! Wohl hörte man einen gelehrten Vortrag über chinesisches Schrifttum und Gedichte in oberbairischer Mundart, aber auch nicht den einfachsten Trink- sprnch auf das Oberhaupt des Reiches, uud schmerzlich wnrde man von der un­geahnten Möglichkeit überrascht, daß sich am Kaisertage deutsche Männer ver­sammeln können, vhue ihres Kaisers zu gedeukeu. Freilich steht München in diesem Punkte nicht vereinzelt da. In Strelitz und Neuß ü. L. verweigern ja evangelische Pfarrer den erbetenen Festgottesdienst, weil sie dazu keine Instruktion" haben!

Als jüngst die Kaiserin Friedrich ihre Reise nach Paris antrat, ergriff die Münchener Gesellschaft eine allgemeine Unrnhe. War es etwa die Be­sorgnis, daß dem Vaterlande von dieser Reise ein Unheil, eine Demütigung drohe? Keineswegs! Die Münchner fürchteten für ihre Ausstellung. Sie fürchteten, daß die geliebten französischen Künstler ihnen untreu uud durch die persönlichen Bemühungen deS hohen Besuches zur endgiltigen Zusage, ihre