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Thermidor
daß er an grellen Farben gespart habe. Fast keine Szene geht vorüber, ohne daß das Gespräch der Hauptfiguren dnrch das Getöse lärmender Volkshanfen unterbrochen würde. Kanm hat Hugon die geängstigte Fabienne mit Hilfe seines Freundes Labusswre aus den Kralleu der Bestien von der Waschbank in das Haus eines friedfertigen Lampenhändlers gerettet, so dröhnt von neuem der Tumult der Schergen des Revolutionstribunals von der Straße herauf. Man hat harmlose Nonnen, die Mitschwestern Fabiennes, gefangen genommen nnd schleppt sie auf Karren in die Kerker. Während sie ihr L-ckvs l^giim singen, brüllen ihre Begleiter die Carmagnole. Das ist ein Schmans für aufreguugs- lüsterne Ohren. Als zum Schlich unter diesem Straßenlärm Fabienne, deren Versteck inzwischen bekannt geworden ist, von Gendarmen verhaftet und da- vongeführt wurde, da jubelte auch das Berliner Publikum dem alten Praktiker zu, der nach den rohesteu Gewaltmitteln des Melodramas greift, weil er sich von der Ausmalung seelischer Kämpfe keine Wirkungen mehr verspricht, die stark genug sind, die Nerven seiner abgehärteten Zuhörer iu augeuehme Schwingungen zu versetzen.
Diese Ncrvenerregnng um jeden Preis ist das erste und letzte Ziel des Dramas. Im dritten Akte entspinnt sich ein dialektischer Zweikampf zwischen Hngon und Labussiöre, der nicht enden will, da sich Labusswrc, dem ein Menschenleben wie das andre gilt, weigert, zur Rettung Fabiennes das Aktenstück einer andern Person mit ähnlich lautendem Namen unterzuschieben. Als er endlich die Stimme seines Gewissens znr Ruhe gebracht und seinem Freund? zuliebe iu deu Betrug eingewilligt hat, dringt die Kunde von dem , /<ll Nobespierres in das Büreau, und die ganze Sceleugual wackrer Menschen ist vergeblich gewesen! So meint der aufatmende Zuschauer. Aber Sardou ist nicht der Mau», der uns so wohlfeileu Kaufes entläßt- Ein Nevolutions- drama, das ein Franzose schreibt, darf uicht ohne Blut und Mord enden, uud so führt uns der letzte Alt in den von einer rasenden Menge umgebenen Vorhof der Conciergerie, über den die znm Tode verurteilten zum Karreu geführt werden. Auch Fabienne befindet sich unter ihnen. Was in den drei ersten Akten zu ihrer Rettung verflicht worden, ist vergeblich gewesen. Wohl ist Nobespierre gestürzt, aber jetzt kommt das Zwischenregiment der Anarchie, die anch ihre Opfer haben will. Fabienne kann nnr noch gerettet werden, wenn sie einen Schein unterzeichnet, worin sie erklärt, gesegneten Leibes zu sein. Dagegen sträubt sich ihre jungfräuliche Scham. Um diesen Preis null sie — theatralisch und melodramatisch bis zum letztem Augenblick, wie es der französische Geschmack verlangt — keine Nettnng, sie schreitet entschlossen zum Karren des Henkers, und ihr Geliebter, der ihr nachstürzt, nm sie gewaltsam zu befreien, fällt unter den Schüssen der Gendarmen.
Das politische Drama, das die sonst so spottlustigen Franzose» so ernst genommen haben, obwohl es weit leichter gewesen wäre, es von der lächerlichen