Allerhand Sprachdummheire»
neue Ratlosigkeit über die Wahl des Tempus. Auch das gehört zu deu Diugen, über die der Ausländer niemals ordentliche Auskunft erhält, weil der Deutsche keine zu geben weiß. In der Schule lernt der Junge in den fremden Sprachen die genauesten Regeln über die sogenannte eonsöLutio tsm- porum, im Deutschen spukt aber auch hier wieder die „große Freiheit," da soll es ganz gleichgiltig seiu, ob man schreibe sei oder wäre, habe oder hätte, stehe oder stünde. Und doch läuft auch diese „Freiheit" wieder zum guten Teil auf Unwissenheit und Willkür hinaus. Mau höre doch uur, wie Leute aus dem Volke, wenn sie ein Erlebnis erzählen, die sogenannte indirekte Rede brauchen, welches Tempus sie setzen, wenn sie den Inhalt eines Gespräches angeben, das sie mit jemand geführt haben (ich sagte, er sagte). Wird mau da wohl das leiseste Schwanken im Tempus gewahr? Fällt es irgend jemand ein, in die Nebensätze eiu Präsens zu bringen? Mit der größten Sicherheit und Gewandtheit erzählt auch der niedrigste Mann minutenlang: er sagte, er wäre — ich sagte, ich müßte. Ein Präsens im Nebensatze würde einem ganz unnatürlich und unerträglich vorkommen. Genau so schrieb man aber auch früher. Wer Gelegenheit hat, thue einmal einen Blick in amtliche Protokolle aus dem achtzehnten Jahrhundert und sehe, ob er einen einzigen Konjunktiv des Präsens drin findet; immer heißt es: der Herr Geheimbderat ent- gegnete, er Hütte, er wollte, er würde u. s. w., niemals: er habe, er wolle, er werde. Es ist also klar, daß auch das Deutsche von Haus aus seiue strenge oonsvoutio t,6mvvrmn gehabt hat, die erst in neuerer Zeit iu der Papiersprache in Verwirrung gebracht worden ist. Der Konjunktiv des Präsens erscheint vielen jetzt als feiner, und so haben sie ihn auch dahiu getragen, wo er gar nicht hingehört, hinter ein regierendes Tempus der Vergangenheit. Wir sind schon so an diese Verwirrung gewöhnt, daß sie kaum noch auffüllt.
Eine Grenze hat sie aber doch, und damit komme ich nuu wieder zu einer richtigen Sprachdummheit. Der Konjunktiv des Präsens hat nämlich uur zwei Formen, in denen er sich vom Indikativ des Präsens unterscheidet: die zweite und die dritte Persou des Singular; in allen übrigen Formen stimmen beide überein. Nur das Zeitwort sein macht eine Ausnahme, es hat einen durchgeführten Konjunktiv des Präsens: ich sei, du seist, er sei u. s. w. Die Formen, in denen der Konjunktiv als Konjunktiv nicht erkennbar ist, weil er sich vom Indikativ nicht unterscheidet, haben also nur theoretische» Wert, sie stehen als Füllsel iu der Grammatik, aber irgendwelche praktische Bedeutung haben sie nicht, sie müssen alle durch den Konjunktiv des Imperfekts ersetzt werden. Das geschieht denn auch in der lebendigen Sprache ganz regelmäßig, so regelmäßig, daß es geradezu eiu Unsinn ist, wenn unsre Grammatiken lehren: Lons, xrg.W.: ich trage, du tragest, er trage, wir tragen, ihr traget, sie trage». Vernünftigerweise sollten solche Sprach-