Allerhand Sprachdumncheiten
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Frcispruch des Nichters — dns hätte Sinn, so könnte man zur Not das freisprechende Urteil nennen; aber die Handlung des Freisprechens kann doch nur Freisprechung heißen, uud Entsatz für Entsetzung ist geradezu entsetzlich. Auch die schönen Zusammensetzungen mit —nähme (Parteinahme, Stellungnahme, Bezugnahme, Rücksichtnahme) sind wieder bereichert morden; das Neueste ist Einflußnahme — der Katholizismus will dem Staate keine E influ ß n ah me auf die Schule gestatten. Sagt deun jemaud: Einfluß neh me u? Eine wahre Manie herrscht jetzt, Neubildungen durch Zusammenleimung eines Adjektivs und eines Substantivs zu schaffeu. Die Lehrer schwatzen von Fremdsprachen, die Buchhändler von Neuerscheinungen und Neuauflagen, die Volkswirtschaft^ uud Statistiker von Höchstmaßen, Höchstpreisen und Höchstbezügen, Mindestmaßen, Mindestpreisen nnd Mindestbezügen, die Theater- und Musikschreiber vou Erstaufführungen — das ist das Allerneueste! Ju alleu Zeitungen spreizen sich die Herren seit ein paar Monaten damit. Vor einem halben Jahre hieß cS noch allgemein: erstmalige Aufführung. Das war genau so dumm wie Erstaufführung, aber etwas Dummes muß es ja sein! Nur das Einfache, Natürliche und Vernünftige: erste Aufführung — dns wird um keinen Preis geschrieben.
Freilich, diese Erstaufführungen sind nur eine vou den unzähligen Albernheiten, die in Theater- und Musikberichten wie Pilze aus der Erde schießen. Was sollen die armen Schlucker auch immer schreiben! Es ist ja Tag für Tag dasselbe. Weuu sie zwanzigmal dasselbe mit denselben Worten gesagt haben, es mnß ihnen ja selber zum Ekel werden! Der einzige Spaß, den sie noch dabei haben, ist der, daß sie für deu hundertmal aufgetischten Quark immer wieder nach ueueu Ausdrücke» suchen. Ilnd ich glaube, sie lesen ihre Sachen gegenseitig sehr aufmerksam, denn sowie einer wieder etwas Neues erfuudeu hat, schreibeus die andern alle nach, bis es nach ein paar Monaten auch wieder abgebraucht ist. Manches hält sich aber doch mich länger. Zu den „Brillanten" der heutigen Kunst- uud Musikschreibersprache gehören die Darbietungen uud das Können. Früher sagte man Aufführung. Leistnng, Fähigkeit — das sind alles abgestandene Wörter; jetzt heißt es nnr noch: die Darbietungen des diesjährigen Peusionsfonds- kouzcrtes — die gelungenste Darbietung des Festabends — das Konzert lieferte einen glänzenden Beweis für das musikalische Können des Vereins — die Sängerin entfaltete ihr ganzes Können — folgendes Gedicht mag das Können des Dichters veranschaulichen. Es kann einem ganz übel dabei werden. Wenn ein Klavierlehrer öffentlich seine Schüler vorgeführt hat, so spricht der Musikschreiber nicht von Lehrer und Schülern — o bewahre; die Schüler heißeu Eleven, und der „Herr" Lehrer heißt — Klavierpädagog! Das hätte ich erfunden? Nein, seht nur hinein in die Mnsikzeitungen und iu die Musikschreiberei der Tagesblätter, da wimmelt es vou Klavierpädagogen.