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Björnsons Ragni
der Inhalt von „Ragni" dürftig, der Stoff verzettelt und die Darstellung durch die wiederholten Natnrschilderungen und die realistische Kleinmalerei für den Leser oft geradezu ermüdend. In „Nagni" ist kaum ein Fortschritt Björnsons auf dem Gebiete der epischen Knnst zu verzeichnen; wir können auch Brandes nicht Recht geben, wenn er in seinen „Moderneu Geistern" von Björnson sagt: „Sieht man von mißlungnen Einzelheiten ab, wer kann dann verhörtet genug sein, um nicht den Born einer neuen und eigentümlichen Poesie zu empfinden, der die Werke aus Björnsons zweiter Periode, zweiter Jugend sollte mau sagen, durchströmt! Eine brennende Wahrheitsliebe hat diesen Büchern ihren Stempel aufgedruckt; ein männlicher fester Charakter giebt sich in ihnen knnd. Welcher Reichtum au ueueu Gedanken auf allen Gebieten, über Staat uud Gesellschaft, Ehe und Hans!" Wir gesteheu, daß wir in „Thomas Nendalen" nnd in „Ragni" vergebens nach diesem Reichtum au ueueu Anschauungen gesucht haben. Oder ist die leitende Idee in „Thomas Nendalen" etwa neu, die der Dichter mit den Worten ausspricht: „Alle seine Gedanken waren auf Pädagogik uud Erziehung gerichtet, und der Mittelpunkt davon wieder war der Gedanke, daß jedes einzelne Kind glücklich durch das „gefährliche Alter" geführt werden müsse, das zu so verschiedenem Zeitpunkt eintritt. In dieser Periode büßten viele etwas ein, viele erlitten Wuudeu, die erst später heilten; die, welche eiu besseres Erbe, bessere Bedingungen hatten, gingen unbeschäoigt daraus hervor, aber das war kaum die Mehrzahl. Alle Erziehung, aller Unterricht sollte sich darum dreheu, einen sittliche» Menschen hervorzubringen, dies war sein Erstes und Letztes."
Auch die dem Roman „Ragni" zu Grunde liegende Tendenz, das engherzige, übermäßig sittenstrenge und selbstgerechte Pharisäertum zu geißeln, hat nichts Ursprüngliches an sich; und wenn Björnson in diesem Werte das Vorurteil der Gesellschaft bekämpft, eine geschiedne Frau, die sich wieder verheiratet, begehe einen Ehebrnch nnd müsse aus der Gesellschaft ausgeftoßeu werden, so verstehen wir in Deutschland diesen mit viel Umständlichkeit und Mühe geschilderten Kampf sür eine andre Anffnssuug nicht recht nnd können daher dem Roman nicht das Interesse abgewinnen, das er bei den norwegische» Kleinstädtern gefunden hat. Die sittliche, religiöse lind politische Engherzigkeit, das bäurisch eigensinnige, wortkarge und brütende Wesen nnd der beschränkte geistige Horizont der in dem Roman geschilderten Nordländer scheinen thatsächlich eine Folge von dem engen Gesichtskreise zu sein, den die massigen Felslandschaften bilden; denn oft gestattet er den Thalbewohuern nnr nach einer Richtung einen schmalen Spalt zum Fernblick, n»d dieser Mangel an einer weiten Perspektive macht sich auch bei Björusou gleich bemerkbar, sobald er andre Frage» »>id Probleme behandelt als die spießbürgerlichen Norwegens.
Trotz der großartigen »nd farbenprächtige» Schilderungen, die er auch iu „Ragni" von der norwegischen Küste giebt, von dem Meere mit seiner