Hedda Gabler
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»ach dem andern in den ihnen zn Gebote stehenden halb oder ganz naturalistischen Litteratnrblättern durchgekämpft hatten, hatten vollauf Ursache, tmnernd ihr Hanpt zu verhüllen. Schon nach dem Erscheinen der deutschen Buchausgabe des Schauspiels hatten sie das Gemisch von Bewunderimg und Zweifel zum Ausdruck gebracht, mit dem sie so gern kokettire», nm sich erst als Abkömmlinge Lessingschen Geistes auszuweisen und dann unter dem Deckmantel dieses Freibriefes den Wahrheitsdrang Lessings mit dem Wirtlichkeitsdrange Ibsens, der ans diesem Wege mit dem Heiligenscheine der Litteraturgeschichte umwvben wird, zn vergleichen. Aber alle Nettnngs-, Beschönignngs- und Er- läuterungsversnche, die an dem Charakter Hedda Gablers selbst von den Ibsen- freunden, die noch an der Wahrheit halten, gemacht worden sind, sind kläglich gescheitert. Diese Hedda Gabler, die Fran des Privatdvzenten der Kulturgeschichte Jörgen Tesman, ist zwar ans demselben Thone geformt, wie alle Jbsenschen Weiber, die nur dazu da sind, den Männern Unheil zu bringen; aber die Beweggründe ihres Handelns sind nicht dämonischen oder fatalistischen Ursprungs oder mit sonst einem Phantastischen Mäntelchen umhüllt, sondern es sind die gemeinsten, die eines Mensche» Willenskraft znr Vernichtung andrer aufstacheln könne»: der Neid »nd die blinde Nachsucht. Hedda Tesman hat keine Geineinschaft mit den dämonische», »uter dem Einfluß nngebändigter Leidenschaften handelnden Heldenweibern, die Ibsen ans den Liedern nnd Sagen seiner nordischen Heimat kennen gelernt nnd deren Bilder er gelegentlich auch in dem alles verkleinernden nnd verzerrenden Hohlspiegel seiner dichterischen Gestaltnngsart anfgefange» hat. Sie ist eine ganz gewöhnliche Intrigantin, eine jener Figuren, die zu dem eisernen Bestände der modernen französischen Dramatiker gehören, von denen Ibsen viel mehr gelernt hat als von der Natur. Wenn einmal wieder in Deutschland ein Geschlecht heranwachsen sollte, dem die Litteratur nicht mehr Parteiangelegenheit, sondern wieder Gefühls-, Gemüts- uud Geschmackssache geworden ist, dann wird vielleicht auch das Urteil über Ibsen znr Nnhe gekommen sein, nnd man wird sich schaudernd eingestehen, daß seine wesentlichste dichterische That darin bestand, das; er die Nücken- marksschwindsucht nnd die Alkoholvergiftung als tragische Motive in die dramatische Poesie eingeführt hat.
Darin nnterscheidet er sich von seinen französischen Lehrmeistern, die den guten Geschmack besessen haben, diese Motive - bis jetzt wenigstens — nicht auszunutzen oder doch uicht znm ständigen Inventar der dramatischen Dichtkunst zu macheu. Dem gallischen Blute sind auch ein paar Tröpfchen Humor beigemischt, die häufig aufsprudeln, wenn die Roheit gar zn nackt erscheint; aber der finstere Norweger hat von diesem Balsam nichts mitbekommen. Wenn er einmal seine mechanisch aufgenommenen Angenblicksphvtographien nach einer trostlosen, Geist und Herz gleichmäßig niederdrückenden Wirklichkeit durch einen Strahl des Hnmors erhellen will, verzerrt sich sein Antlitz zn einer Grimasse, Gnnizlwten I 1891 S9