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Die Kenntnis der Thatsache ist ja durchaus nicht uen, daß man die konstitutivnellen Kinderkrankheiten mit Glück an der See behandeln kann; man weiß das schvn längst, auch in den von der .Küste entfernten Landstrichen. Einzelne begüterte Familien haben vou jeher aus dem fernen Binnenland? ihre blutarmen, skrvfulöseu, laugsam oder krankhaft sich entwickelnden Kinder auch bei uns an die Seeküsten gebracht. Neu aber ist der Gesichtspunkt, diese erfahrungsmäßig als höchst wirksam anerkannte Kur auch den weniger Vermögenden und selbst den ganz Unbegüterten zugänglich zu mncheu, mit einem Worte, dem Volke im großen; nun erst bekommen die Kinderheilstätten ihre Wichtigkeit für die öffentliche Gesundheitspflege. Erst dadurch, daß sie alljährlich vielen Hunderten von Kindern aus allen Ständen die Gesundheit wiedergeben, die mangelnde Kraft mitteilen, gewinnen sie Einfluß ans unser öffentliches Leben, auf die körperliche Erziehung unsers Volkes und verdienen Beachtung auch iu deu eutferuteften Teilen des deutscheu Vaterlandes. Es dürfte bekannt sein, daß fast sämtliche europäischen Völker uns Deutschen iu der Begründung vvn Seehospizeu zuvorgekommen sind, namentlich die Engländer, die Franzosen, die Italiener, die Dünen und die Russen.")
Schon im Jahre 1796 eutstaud in England auf Dr. John Lettsoms Anregung das erste Seehvspiz für Skrofulöse: das zu Margate an der Themse- müuduug, dem volkstümlichen Seebadeort der Londoner. Wohl die Erschöpfung der damaligen Welt durch die napoleouischeu Kriege war die Ursache, daß es füufuudvierzig Jahre dauerte, ehe eiu zweites gebaut wurde: das zu Viarcggio an der tvskanischen Küste, im Jahre 1841. Einige Jahre darnach gründete eine edle Frau, Madame Armaiugaud, zu Cette iu Südfraukreich das erste französische Seehvspiz. Dann beganu Dr. Perrochaud das Hospiz zu Verck snr Mer an der Nvrdküste vou Frankreich, das später von der Stadt Paris übernommen und zum größten der Welt gemacht worden ist. Es hat fünf Millionen Franken gekostet und ist für 7!!4 Kinder und für 140 Beamte uud deren Nugehörige eingerichtet.
Inzwischen war in Italien eine ganze Reihe vvn Hospizen entstanden. Jetzt hat dieser Staat nicht Nieniger als zwanzig, die meisten ans unmittelbare Anregung des Prvfessors Barellai iu Floreuz, eines wahren Apostels der Nächstenliebe, der jahrelang in den Provinzen Italiens den Kreuzzug der Wohlthätigkeit gepredigt hat. Nirgends ist auch die Sache der Hospize volkstümlicher, und nirgends wird sie mehr unterstützt als dort. So geben beispielsweise die Eisenbahnen von Norditalien den hin- und herreisenden Kindern eine Ermäßigung des Fahrpreises um drei Viertel, eine Gunst, wie sie anderwärts, z. B. in Deutschland, solch wohlthätigem Werke versagt bleibt. Dreizehn der
") Nensi. Rhoden, Die Skrofeln und der Verein fnr Kindcrheilstätten an den deutschen Seetnsten.