Der Lolt.usche Musenalmanach für ^SII. M<)
fahrt" von Wilbrandt und die tief empfnndnen Lieder vvn Wilhelm Hertz — vhnc damit andern guten, ja bessern Gedichten zu nahe treten zu wvllen, die sich nns vielleicht zu andrer Stunde tiefer in den Sinn prägen als beim ersten pflichtmäßigeu Durchblättern des „Musenalmanachs." Weu» solche Sammlung Sinn haben und ihre Fortsetzung mit Recht finden soll, so muß sie Leser finde», die wieder und wieder zn ihr zurückkehren,
lind das ists, was als letzte Frage übrig bleibt, und woraus wir gern eine fröhliche Antwort geben möchten. Die alten Musenalmanache, selbst wo sie dem Gehalt nach bedeutend hinter diesem erneuten von 1891 zurückstehen (vvn den Cottaischen der Jahre 1797 bis 1800 dürfe» wir insoweit nicht reden, als diese unter Gestirueu standen, die nicht aller hundert Jahre scheine»), bedeuteten für geistige Kultur und litterarischen Genuß ihrer Zeit unendlich mehr, als auch der beste Mnsenalmanach von heute bedeuten kann. Mit welcher teilnehmenden Ungeduld wurden sie erwartet, mit welcher lauten Wvnne im geselligen Kreise genvssen, mit welchem Ernst kritisirt und mit ihren Nebenbuhler» oder Vorläufer» vergliche»! Allerdings der berühmte Göttinger Professor Georg Ludwig Böhmer sagte auch im vorigen Jahrhundert zu Bürger: „Nicht wahr, Sie haben ein <ÜÄl<zn6g>i'ium mu8g.rum edirt? Meiue Tochter sagte mir, es sei sehr niedlich, denn ich selber lese dergleichen Lappalie» nicht." Aber der Herr Professor stand damals vereinzelt unter den Männern, heute dürfte beinahe nur »och von den Töchtern, nur noch von Leserinnen und kaum vvn Lesern eines Musenalmanachs die Rede sein. Zwar regen sich hie und da kleine Keime wiedererwachender Empfänglichkeit für pvetische Erzeugnisse im engern Sinne des Wortes. Und ein Wunder wäre es am Ende nicht, weu» feiuere und phantasievvllere Naturen, der nackten Brutalität und des stillosen Schwulstes einer gewissen Roman- und Novellenvrvsa müde, für Gedichte wieder eine Regung empfände!,, die sie vor der Hand selbst Schwäche nennen werden. Wenn das nicht eine Täuschung ist, so wollen wir im Interesse besserer Tage von Herzen wünschen, daß der »eubegonnene Cvttaische „Museu- almauach" fortbestehen nnd i» nvch ganz andrer Weise als in diesen: erste» Jahrgang seiner Erneuerung ein Anziehnngspuukt sür die besten poetischen Kräste nnd für viele noch im Schoße der Zeiten schlummernde Talente werden möge. Die Dichter allein thuns freilich nicht, aber das Pnbliknm allein auch nicht, vielleicht finden sich beide zn guter Stunde am Ende des Jahrhunderts wieder einmal zusammen.
Gicnzbvte» IV 1»SV
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