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Der Kampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie
hiermit seinerseits den Erfolg erzielte, zur Einigung aller staatsfreundlichen Kräfte beizutragen. Die Svzialdemolratie versteht es heute wie ehemals, sich durch meisterhafte Ausnutzung der Fehler ihrer Gegner und besonders ihres Hauptfehlers: Uneinigkeit, zu verstärken.
Wer glanbt, daß die Sozialdemokratie so schnell aus der Welt verschwinden, sich still verbluten könnte, wird auch stets geneigt sein, sich in trügerische Sicherheit zu wiegen. Jener 20. Februar, der dem Bürger die Augen öffnete über die schleichende Ausbreitung der sozialistischen Lehren, auch an Orten, wo sonst keine Spur von ihnen jemals wahrzunehmen war, streitet bereits, wie natürlich, mit andern Ereignissen der Zeit, die gleichfalls Interesse erregen und von Fall zn Fall verfolgt werden, um den Vorrang in der lebendigen Erinnerung der besitzenden Klassen. Aber der sozialdemokratische Kalender ist von dem bürgerlichen sehr verschieden, er zeichnet eine Geschichte besondrer Art auf; in ihm bilden der 20. Februar, der 1. Oktober und der Parteitag die bis jetzt denkwürdigsten Augenblicke dieses Jahres, neben denen alle übrigen Ereignisse ein gleichgiltiges Nichts sind. „Der Geist des Kongresses ist der Geist des 20. Februar," hieß es im „Volksblatt." „Was kümmert mich die Gesundheit des Königs von A'," sagte unter dem gewohnten „stürmischen Beifall" ein Redner, ein Arbeiter, in einer der wie bei keiner andern Partei zahlreich anfeinanderfolgenden Volksversammlungen. Er hätte seine wahre Meinung noch besser ausgesprochen, wenn er einfach gesagt hätte: Eure Weltgeschichte und eure Zeitgeschichte lassen mich kalt, gehen mich nichts an, oder, um ein beliebtes Wort zu gebrauchen: ich pfeife auf sie. Es wird sich zeigen, ob die staatserhaltenden oder die radikalen Kräfte die Spanne Zeit bis zur nächsten Neichstagswahl am besten ausnutzen werden; der 1400000- Stimmentag sollte ein tägliches Memento, ein dauernder Autrieb zu eifrigem Schaffen sein. Auf der Kathvlikenversanunluug zu Aachen sagte der Abgeordnete Bachem: „Der Kaiser wendet sich gewissermaßen in dieser kritischen Zeit an die einzelnen Richtungen im Lande und sagt: Nun zeigt, was ihr könnt."
Die Tageszeitungen, in denen sich der .Kampf mit geistigen Waffen natürlich besonders wiederspiegelt, sind nicht selten schuld, daß ein unvollkommenes und einseitiges Bild von dem jeweiligen Stande der sozialen Bewegung in den Köpfen der besitzenden Stände entsteht. Wenn ein Blatt den Parteitag, den die Sozialdemokraten ein „Arbeiterparlament" nennen, „wie Deutschland ein solches noch nie gesehen hat," der „eine neue Ära" eröffnet, in die die „Arbeiterpartei" eintritt, „mit einer Zuversicht, die nichts erschüttern kann," mit einem kurzen Auszuge oder Referat abfertigt, so wird es der Bedeutung des Gegenstandes nicht gerecht. Vielleicht kommen allerdings noch „Stimmen der Presse" hinzu; sind diese aber so ausgewählt und ausgeschnitten, daß sie in harmonischem Zusammenklingen den Kongreß (413 Dele- girte aus 230 Wahlkreisen) als ein mißlungenes Experiment bezeichnen, das