4^0 Der Kampf mit geistigen Massen gegen die Sozialdemokratie
das Aufhören des Sozialistengesetzes ist eine Beschränkung der Polizeimaßregeln erfolgt, ist der Fehde in Wort und Schrift freie Bahn gegeben, ist die Gesellschaft anstatt ausschließlich auf staatliche Fürsorge auch auf ihre Selbsthilfe zu ihrer Erhaltung angewiesen, muß sich ihrer Haut wehren, so gut sie kanu. Im Gegensatze nun zu der Anerkennung, die sie den gegenwärtigen gesetzgeberischeil Neuerungen, sei es mit oder ohne Hintergedanken, im ganzen entgegenbringt, hat die Sozialdemokratie bis jetzt sicherlich keinen großen Respekt vor dem angedrohten „Kampf mit geistige» Waffen" gezeigt und keine Fnrcht vor den Angriffen ihrer Gegner verraten; dieser Kampf hat sogar das Unglück gehabt, ihren scharfen, beißenden Spott herauszufordern. „Geisteskampf heißt solche Hetze! wir lachen der ganzen Gevatterschaft." Woran mag das liegen? Eine erschöpfende Antwort läßt sich darauf nicht in kurzen Worten geben; der Sozialismus von heute ist eiue zu verwickelte Erscheinung, die man stets als vollständiges Gauze betrachten muß, um sie sich richtig znrechtzulegeu; beachtet man nur einen Teil, so erhält man ein falsches Bild, in keiner andern Sache richtet die einseitige Auffassung und ihre Folge: halbe und unsichere Maßregeln, so viel Unheil an. Die Beurteilung und die Diagnose ist daher ebenso erschwert wie die Bekämpfung und die Kur; teilweise liegen also die Gründe der bisherigen verhältnismäßigen Erfolglosigkeit des Geisteskampfes in der Sache selbst, teilweise aber auch sicherlich in dem eingeschlagenen Verfahren.
Die Sozialdemokraten behaupten, in den vergangnen zwölf Jahren, wo ihre Propaganda nur im Geheimen thätig sein konnte, „nichts vergessen" und „viel gelernt" zu haben. Eine Vervollkommnung ihrer „Taktik" ist zweifellos vorhanden, obwohl auch nicht einmal diese ihnen allgemein zugestnndeu wird; wie viel sie sonst noch gelernt haben, muß dahingestellt bleiben. Die Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms uud die Neuformuliruug des „ehernen Lohngesetzes" muffen nicht zu wichtig genommen werden; sie sind ein Spielball für dialektische Sträuße mit den Gegnern, ein Beschäftigungsmittel für die Anhänger uud ein glänzender Beweis, daß die Partei „mit der Wissenschaft fortschreitet." Aber hat die bnnte Schar ihrer Gegner, die jetzt allen Ernstes den Kampf mit geistigen Waffen aufnehmen will, hinzugelernt und nichts vergessen? Man begegnet in den Sozialistenblütteru immer wieder der Behauptung, der Klage, daß die Partei in ihren Meinungen uud Bestrebungen von ihren Gegnern nicht oder nicht genügend gekannt sei. Gewiß ist diese Behauptung zum Teil nur berechnete Taktik; wie bequem ist es, von Widersachern in die Enge getrieben, die Ausflucht zu gebrauchen: Sie kennen mich nicht, Sie werden mich nie verstehen! Trotzdem liegt viel Wahres in Ansprüchen wie diesen: „Unsre Gegner kennen eben unsre Litteratur nicht, sondern sind gewöhnt, alles der Polizei zu überlassen. Hätten sie die Geschichte unsrer Partei verfolgt, kennten sie uusre Parteilitteratur, so . . ." (Berliner Volksblatt, 29. Oktober d. I,), oder: „Unsre Gegner lesen nun einmal keine sozialdemokratischen