Maßgebliches und Unmaßgebliches
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Gelüste befriedigt war, überfiel mich der entsetzlichstes Haß, die tiefste Verachtung gegen mich selbst. Sie seufzte in demselben Augenblick im Schlafe auf, und ihr Antlitz erbleichte wie von tötlichem Schreck. Hatt ich eine Waffe in den Händen, ich erlebte den Augenblick nicht, in dem sie die Augen öffnete und mich mit so schmerzlichem und doch vorwurfslosem Blick ansah. Ich hatte meine Augen geschlossen vor Scham und hatte nicht den Mut, mich nur zn regen. Blinzend, indem ich mich stellte, als schliefe ich noch, sah ich, wie sie aufstand und sich anzog, in welcher Beschäftigung sie sich tausendmal unterbrach, nm die Hände zu ringen. Ihr Antlitz war wie versteinert, und vergebens bemühte sie sich zn weinen. Dazwischen sank sie mehrmal kraftlos auf das Bett zurück. Endlich war sie fertig. Sie kam auf mich zu; indem sie sich über mich bog, kamen ihr die ersten Thränen und kamen in solcher Fülle, daß sie mich wirklich in Thränen badete. Der Schmerz, der mir wie ein glühendes Eisen durch die Seele sengte, nahm mir die Besinnung. Nur noch wie im Traume hörte ich, wie sie in den süßschmerzlichste» Worten von mir Abschied nahm, wie sie mir so liebevoll zuredete, mich zu fasfen, und dann wieder in lautes Schluchzen ansbrach, fühlte ich, wie sie mich mit tausend Küssen und Thränen bedeckte, meine Hände und mein Gesicht nnaufhvrlich an Mund, Wangen, Augen und Busen drückte.
Wie ich endlich wieder zu mir kam, war sie verschwunden samt dem Gemach und dein Bette; unfern des Schneckenberges glaubte ich in einein Busche zn liegen. Eiseskälte rann statt des Blutes durch meine Adern; von neuem floh mir die Besinnung. Zum zweitenmal erwachend fand ich mich in einem ärmlichen Bette; die guten Leute, die mich umstanden, hatten mich im bloßen Hemde als einen Fieberkranken im obern Park gefunden. — Und so bliebe mir denn weiter nichts zu melden, als daß ich endlich aus Verzweiflung unter die Litteraten gegangen bin. Die langen Haare trage ich, um den Mangel meines rechten Ohrläppchens zu verstecken, das mein scheidendes Glück im Schmerzenssturme des Abschiedes mir abbiß.
(Fortsetzung folgt)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Für und Wider das deutsche Gymnasium. Die Namen der Männer, die der preußischen Regierung in den nächsten Wochen ihre Gutachten über einige Erziehungs- und Unterrichtsfragen vortragen sollen, sind größtenteils bekannt geworden. Schön, daß man es auf keiner Seite für eiueu Raub geachtet hat, wenn in Berlin auch außerpreußische Stimmen gehört würden. Verhältnismäßig stark Grenzboten IV 1890 55