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Der Eindruck von Kunst und Wirklichkeit
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Der Eindruck von Kunst und Wirklichkeit

von Uarl Erd mann

ie Wörter Realismus, Naturalismus, Verismus, die alle in mehr oder minder klarer Weise eiueu Grad vvu Naturwahrheit bei Kuustwerkeu ausdrücken, könne» vernünftigerweise nur bei den Künsten angewendet werden, die sich mit einer Nachbildung der Wirklichkeit befassen. Wenigstens würden diese Begriffe eine andre Bedeutung annehmen, wenn man sie auf die übrige« Künste anwenden und etwa von einer realistischen Musik, Architektur oder Tauzkuust reden wollte. Die nachfolgenden Betrachtungen sollen sich daher im allgemeinen nur auf die uachbildeudeu Küustc erstrecken; unter einem Kunstwerk schlechthin soll immer nur eins aus den nachbildenden Künsten verstanden werden. Dabei erscheint es zweckmäßig, das, was nachgebildet wird, mit einem bestimmten Ausdruck, etwa als die dein Kunstwerke entsprechende Wirklichkeit oder das dem Knnstschönen entsprechende Natnrschöne zu bezeichnen, wenn es gestattet ist, das so unbestimmte, gleichzeitig viel- und nichtssagende Wortschön" im allgemeinsten Sinne zu verwenden. Ich lege übrigens auf diesen Ausdruck keinen Wert und knüpfe durchaus keine Voraussetzungen daran. Er mag alles zusammen- fasfen, was geeignet erscheint, irgendwie bedeutende Gefühle in uns zu erregen.

In deu folgenden Untersuchungen wird beabsichtigt ohne die Voraus­setzung irgend welcher ästhetischen Theorien nnd ohne Voreingenommenheit für bestimmte Kunstrichtungen, die beiden Eindrücke mit einander zu vergleichen, die einerseits eiu Kunstwerk, anderseits die genau entsprechende Wirklichkeit verursacht. Können beide gleich sein? Gefällt uns ein Kunstwerk nur des­wegen, weil es eiu Naturschönes nachbildet, das uns als solches auch gefallen würde, oder ist es nicht nötig, daß die einem wirkungsvollen Kunstwerke zu Grunde liegende Wirklichkeit uns ebenfalls entzücke? Erzeugt eine Landschaft einen wesentlich andern Eindrnck als ein Gemälde derselben? Ist das beim Betrachten eines Kunstwerkes hinzutretende Bewußtsein, es mit einer Nach­bildung zu thun zu haben, von ausschlaggebender Bedentung?

Diese Fragen haben natürlich so lange gar keinen Sinn, als wir die ver- schiednen Kunstrichtungen (die realistische, idealistische, phantastische) und die verschiedueu Knnstgattuugen (z. B. Märchen, Romane, Dramen, Gedichte) uu-