Zum Schutze der Wahrheit in der Presse
ie Verbreitung „unwahrer Thatsachen"*) durch die Presse hat außerordentlich überHand genommen. Es ist dies eine Wahrnehmung, die wohl von jedem ernsten Leser bestätigt werden wird. Ebenso allgemein aber wird dieser Übelstand als ein Krebsschaden unsers öffentlichen Lebens empfunden, und der Wunsch nach Besserung wird gewiß von vielen geteilt. Eine öffentliche Besprechung dieser Angelegenheit erscheint daher wohl berechtigt und ist vielleicht gerade jetzt um so zeitgemäßer, als das bevorstehende Aufhören des Gesetzes gegen die Svzialdemvkratie die Beschaffung gemeinrechtlicher Schutzmittel gegen Wahrheitsverletzungen der Presse zur Notwendigkeit macht.
Bei einem großen Teil der Zeitungsunwahrheiten mag der Berichterstatter sowohl wie der Redakteur sich im guten Glauben befinden, auch alle Sorgfalt zur Ermittlung des richtigen Thatbestandes angewendet haben. In solchen Fällen handelt es sich meist um unschädliche Ungenauigkeiten, die bei der Raschheit, mit der die Tagesblätter die Nachrichten bringen müssen, nie ganz vermieden werden können.
Zahlreicher schon und bedenklicher sind die fahrlässigen Unwahrheiten. Seit der Einführung der Preßfreiheit und der Aufhebung der Zeitungssteuer ist eine Unzahl neuer Tagesblätter entstanden; fast jedes Städtchen hat gegenwärtig mindestens eine eigne Zeitung. Die Redakteure dieser Lokalblätter sind meist nicht so gestellt, daß sie gute und zuverlässige Berichterstatter halten können; sie müssen daher, um die Sucht des Publikums nach Neuigkeiten zu befriedigen, zu Quellen ihre Zuflucht nehmen, die keine Bürgschaft für die Reinheit des Gebotenen in sich tragen. Und die Redakteure solcher Lokalblätter selbst sind nicht immer unterrichtet und befähigt genug, sich über die Glaubwürdigkeit der ihnen gemachten Berichte ein eignes Urteil zu bildeu, ihre Prüfung erstreckt sich meist nur darauf, daß durch den Inhalt ihrer Zeitung nicht eine strafbare Handlung begründet werde. Aber daß auch die angesehensten, über ganz Deutschland und darüber hinaus verbreiteten Zeitungen
") Der Ausdruck „uuwahre Thatsachen/' obwohl vom Standpunkte der Logik anfechtbar, wird in dieser Abhandlung angewendet, weil damit dasselbe bezeichnet werden soll, was in der Gesetzgebung (vgl. K 187 des Strafgesetzbuches) und in der Rechtsprechung allgemein darunter verstanden wird.