Beitrag 
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Seite
521
Einzelbild herunterladen
 

Litteratur

521

Würde es, ohne Gefahr, geohrfeigt zu werden, öffentlich wagen dürfen, Gambetta, lediglich weil er leine künstlerischen oder Philosophischen Formen entwickelte, nnter das Niveau der allgemeinen französischen Kultur zu setzen, wer würde Salisbury, wer würde Gortschakoff als englische oder russische Halbbarbaren Perschreien, weil sie keinen lebendig schaffenden Sinn für die Zwecke der schönen Künste an den Tag gelegt haben?" Ja Nur Deutschen sind haltso viel" gebildet, wie die Österreicher sagen, bei uns dünkt sich nicht nurjeder untergeordnete Litterat als eine geistige Natur n, priori weit erhaben über alle staatlichen Vernfskräfte der Völker," sondern auch der Musiklehrer glaubt eine Persönlichkeit wie Bismarck schulmeistern zu dürfen, weil er als Privatmann einem Musiker, den der andre nicht für voll an­sieht, eine Aufmerksamkeit erwiesen hat.

Litteratur

Briefe von der Grenze. Ein sozialpolitisches Gedcmrenl'ild. Maqdclmrg, Albert Rathke,

18»0

Das Gedankenbild des ungenauuteu Verfassers unterscheidet sich von den Ro­manen ans Utopien, die neuerdings wieder Mode geworden sind, sehr zu seinem Vorteil durch zweierlei. Erstens werden uns die Reformen, die der von der edelsten Gesinnung beseelte Verfasser für wünschenswert hält, in ganz kleinem Maßstabe vorgeführt. Der menschenfreundliche Fürst eines deutschen Kleinstaates, dessen Hauptstadt den symbolischen Namen Nenstndt am Avenir erhält, hat sich mit einem gleichgesinnten reichen Fabrikbesitzer und einem evangelischen Pfarrer in Verbindung gesetzt, diese drei Männer werben Anhänger und rnfen eine Reihe gemeinnütziger Anstalteu ins Leben von der Art, wie solche in Wirklichkeit hie und da schon vor­handen sind. Der Fabrikbesitzer führt bei sich die Gewinnbeteiligung der Arbeiter und allerlei Wohlfahrtseinrichtungen ein, sodann werden eine Werkstatt für arbeits­lose Männer, ein großes Tapisseriegeschäft zur Verbesserung der Lage der Nadel- arbeiterinnen nnd ein Warenhans gegründet; endlich anch ein musterhaft einge­richtetes Hotel, dessen Angestellte Nieder Trinkgeld nehmen, noch sich von den Gästen grob kommen lassen. Zweitens sucht der Verfasser die Ursache der herr­schenden Übel vorzugsweise in der Unsittlichkeit der den modernen Geschäftsverkehr und die gesellschaftlichen Verhältnisse beherrschenden Grundsätze und geht daher vorzugsweise auf sittliche Erneuerung ans. Als Ideale schweben ihm vor einerseits die Brüdergemeinde, anderseits eine Organisation der Bernfsstände, die an Schäffles Ban der Gesellschaft erinnert. Mit der Hervorhebung- dieser Vorzüge haben wir den Neformplcm des Verfassers schon kritisirt. Es ist eben die Frage, ob sich jene Einrichtungen, die im einzelnen nicht allein ausführbar sind, sondern sich hie und da schon bewährt haben, ganz allgemein nnd mit Ausschluß aller freieu kapitalistischen Unternehmungen werden durchführen lassen. Es ist auch die Frage, ob es die Grenzboten III 1890 66