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Giebt es einen sittlichen Fortschritt, und worin besteht er? 2
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Giebt es einen sittlichen Fortschritt, nnd worin besteht er?

und fast nach allen herrschenden Moralsystemen. Ganz recht! Wer das für sittlich erklärt, was den obersten Weltzweck fördert, mag dieser nun die Hervvr- bringung einer höhern und höchsten Menschenrasse, oder der absolute Staat, oder die Weltvernichtung sein, der kann eben gar nicht anders, als jedes Mittel für sittlich gut erklären, das diesen Zweck fördert. Aber den Inhalt der Sittlichkeit aus dein Weltzweck zu schöpfen, das wäre nur dann möglich, wenn wir diese» Weltzweck kennten, und zwar müßten wir ihn genauer kennen, als z. B. die Bibel ihn angiebt und nach ihr Dante: die Menschenwelt solle so lange fort­bestehen, bis die von Gott bestimmte Zahl der Seligen voll ist; denn eben dieses wird gefragt, worin jene sittliche Güte bestehe, durch die man selig wird. Man sieht leicht ein, wie die Jesuiten praktisch zu ihrem Grundsatz kommen mußten (in der Theorie verleugnen sie ihn), da sie an Stelle jenes höchsten Endzwecks einen nähern setzten: die Herrschaft ihrer Kirche; denn was diese fördert, das scheint leichter erkennbar zu sein. Mau sieht ferner leicht ein, woher die innerliche Verwandtschaft des staatsmäunischeu MaechiavellismuS mit dem Jesuitismus kommt. In der That muß, wie E. vvu Hartmann richtig erkannt hat, jede Sittenlehre jesuitisch werden, die nach Zwecken be­stimmt, was gut sei; nur wenn man, wie Herbart, an unwandelbare angeborne sittliche Ideen glaubt, ist man vor allen Berirrnugen nach jener Seite hin geschützt. Ohne Zweifel fördert es den höchsten Weltzweck, wenn die Menschen diesen Ideen gemäß leben; aber da Nur weder den Weltzweck selbst genau kennen, noch die Wege, auf denen Gott seine Verwirklichung herbeiführt, so dürfen, wir uns nicht irre machen lassen, wenn die Trene gegen die sittlichen Ideen zuweilen mehr Böses als Gutes hervorzubriugeu scheint; wir handeln nach unserm Gewissen, bescheiden uns bei nnsrer Unwissenheit und überlassen es, Gott, wie das Böse, so auch die unbeabsichtigten Mißerfolge des Guten zum Besten zu wenden. Thatkräftige Meuscheu habeu selten die Kraft solcher Resignation; sie wollen das Gute sichtlich fördern, sie sind überzeugt, daß ihre Endziele einen Teil des Weltzwecks bilden, und daß alles gut oder wenigstens erlaubt sei, was sie zur Erreichung ihres Zieles für nötig erachten. Wir wünschen nicht, daß es anders sei. Herbart giebt den Unterschied richtig an, indem er sagt: Menschen, die sich durch Zwecke bestimmeil lassen, handeln lräftiger, solche, die sich von Grundsätzen, oder was ziemlich dasselbe ist, vou den sittlichen Ideen leiten lassen, leben reiner. Die Welt kaun keine der beiden Klassen entbehren: ohne die erste würde die Weltgeschichte stillstehen, ohne die zweite würde sie längst zu Ende sein, die Völker, von denen sich jedes für das anserwühlte hält, würdeil sich in erbitterter Verfolgnng ihrer vermeintlich von Gott gestellten Aufgaben gegenseitig vernichtet haben. In den meisten Menschen finden sich beide Auffassungen vereinigt. Die Lebenszwecke treiben und dienen dadurch zugleich der Idee der Vollkommenheit, die übrigen sittlichen Ideen bilden das Gewissen uud zügeln. Eine andre Greuze, die da verhütet, daß